Julia: Ich habe eine ältere Schwester, zwei Jahre älter als ich. Wenn die als kleines Kind einen Wutanfall hatte, habe ich gesehen, wie schlecht es ihr dabei ging. Aber auch, wie schlecht es meiner Mutter dabei ging. Meine Mutter ist dann wütend und verzweifelt geworden. Dann hat sie gesagt: »Reiß dich zusammen oder willst du mich wahnsinnig machen?« Irgendwie so: »Willst du mich kaputtmachen?« Und ich glaube, dass ich schon als kleines Kind mir gesagt habe: »Oh, Wut ist ganz schlimm. Ich darf nicht wütend sein. Meine arme Mutter.« Da ist ja auch gerade so Thema, dass gerade bei Frauen dieses Gefühl besonders negativ bewertet wird. Bei Männern wird es eher als Stärke interpretiert, wenn die mal wütend auftreten. Frau ist halt gleich irgendwie balla balla im Kopf, hysterisch. Ich habe vor nicht allzu langer Zeit mal den Satz gehört: »Die Wut ist die Hüterin der Grenzen.« Das ist ein ganz hilfreicher Satz, ein ganz hilfreicher Gedanke. Die eigenen Grenzen müssen halt erstmal wahrgenommen und geschützt werden. Wenn ich in mir eine aufkeimende Wut spüre, dann kann ich daran denken und fragen: »Okay, welches Bedürfnis ist jetzt hier nicht erfüllt oder wo sind Grenzen überschritten?« Und deswegen immer her mit der Wut!
Anonym: Wut ist für mich irgendwie ein sehr neues Gefühl. Ich habe das vor allem von meinem Vater sehr dominant vorgelebt bekommen. Von meiner Mutter gar nicht. Meine Mutter hat eher geschwiegen. Ich glaube, das war auch so eine weibliche Sozialisierung. Das habe ich adaptiert: Frauen oder weibliche gelesene Personen sind nicht wütend oder dürfen nicht wütend oder laut sein.
Yvonne: Ich habe das Gefühl, dass Frauen Wut anders ausleben als Männer.
Uta: Ja, vor allem in der Öffentlichkeit. Nicht so laut, nicht so polternd. Das kommt aus der Geschichte. Frauen, die wütend sind, die galten als hysterisch und kamen in die Klinik. Hysterisch war eine Diagnose. Irrenanstalt wurde das damals genannt. Frauen hatten keine Gefühle öffentlich zu zeigen. Aber Frauen dürfen auch mal wütend sein. Es geht nicht darum, dass man permanent die Leute anschreit oder sich zügellos hält. Aber es gibt einfach Situationen, wo es auch mal guttut. Ob man sich hinterher immer noch gut fühlt, wenn man denkt: »Ach, was habe ich denn jetzt gemacht?« Kommt ja gleich sofort wieder der innere Aufpasser. »Hast dich jetzt aber gehen lassen.« Oder so.
Anonym: Ein sehr allgemeines Beispiel: Man ist auf der Straße auf dem Fußweg und da kommen Leute vorbei und ich merke unter meinen weiblichen Freundinnen, dass wir, wenn Leute vorbeigehen wollen, wir direkt Platz machen. Wenn ich dann andere Gruppen beobachte, wo vor allem männlich sozialisierte Personen dabei sind, bemerken die das oft gar nicht. Dann muss man sagen: »Sorry, können wir vorbei?« oder man weicht dann auf die Straße aus. Das macht mich wütend, weil ich wünschte, ich könnte auch einfach mal nicht so aufmerksam sein und für andere Rücksicht nehmen müssen. Dieses Umlernen ist krass anstrengend. Die Reaktionen »Das gehört sich doch nicht.« oder »Als Frau, da macht man doch sowas nicht.« und »Du hast doch Augen im Kopf.«. Gerade, weil andere das von einem erwarten, wenn man sich nicht so verhält, wie man es denn eigentlich kennt. Das hindert mich oft. Ich versuche zu lernen, damit umzugehen, dass die wütend sind, wenn ich halt keinen Bock habe.
Markus: Männer reden überhaupt nicht oder erklären einem die Welt. Das ist ja der Unterschied zu früher (lacht). Das hat sehr gewechselt und wechselt auch sehr bei mir. Früher habe ich gerne und auch gerne Frauen die Welt erklärt. Oder auch gerne und viel geschwiegen. Fand ich super. Und in meiner ersten Beziehung habe ich ständig den Frauen erklärt, wie so der Hase läuft. Global gesehen. Das hat sich aber …, nachdem ich begriffen habe, dass ich gar nichts weiß, hat sich das deutlich zurückentwickelt.
Yvonne: Und jetzt ist das andersrum?
Markus: Nee … Nee … Nee, aber ich … Also gerade durch dieses ganze Meditationszeug hat sich das Ego einfach zurückentwickelt. Und dadurch muss ich jetzt auch nicht mehr so viel wissen. Oder so tun, als wüsste ich, um mich gut zu fühlen.
Uta: Wut gehört sich auch nicht so richtig für Frauen. Es ist immer noch so ein bisschen drinne, in uns jedenfalls, in unserer Generation. Die jungen Leute, ja, die wollen ruhig bleiben und auch nicht wütend aussehen, glaube ich. Meine Kinder würden sich erstmal zügeln und dann gesittet debattieren. Oder sie versuchen es. Die haben es vielleicht besser im Griff. Aber die Frage ist, ob das gut ist. Weiß ich nicht. Man kann auch mal kurz wütend werden. Also dazu stehe ich.
Stefan: Unsere Gesellschaft hat ja Modelle geschaffen, bei denen die Wut von Männern akzeptiert ist. Mir fällt Fußball als ein Ventil ein, bei dem man auch in Verbindung mit Alkohol mal seine Wut rauslassen kann. Ich überlege gerade, ob es ähnliche Modelle für Frauen gibt. Klar, es gibt Frauenfußball und Frauen gehen ins Stadion. Aber was für Orte gibt es, an denen es akzeptiert ist, dass Frauen auf diese Weise ihre Emotionen rauslassen können?
Uta: Naja, so ein bisschen prollig bin ich schon. Na, das ist klar, ein Fußballspiel ist was Emotionales. Wenn man dabei ist, dann ist man emotional. Und dann wird man in dem Moment auch wütend, wenn die sich völlig doof anstellen auf dem Platz. Man erwartet trotzdem bei Frauen, dass es da gesitteter zugeht, dass Frauen sich auch aufm Fußballplatz benehmen.
Yvonne: Das sind Frauen, aber nicht Amazonen.
Uta: Ja, also hysterisch, Mannweiber. Es ist ein männlich belegtes Wort. Weil es ein bisschen mit Gewalt zu tun hat, mit laut werden. Wut ist zügellos und könnte noch in Gewalt ummünden. Und das ist etwas, das Frauen nicht zugestanden wird, immer noch nicht. Ich glaube, das sitzt uns immer noch drin.
Stefan: Ich hatte mal so ein Gespräch, da meinte mein Gegenüber, wenn Männer in der Freizeit Sport machen, geht es immer um den Leistungsgedanken, also auch »Spitze« zu sein. Wenn Frauen Freizeitsport machen, sagte er, dann wollen sie etwas für ihren Körper tun.
Uta: Nee, ich bin Leistungssportversaut. Ich war im Schwimmen, und ich habe das ernst genommen. Es ging um Leistung, und ich habe mich wahnsinnig geärgert, wenn ich nur Bronze hatte. Also sage ich jetzt mal so salopp: Nö! Also ich für mich nicht. Aber klar, Frauen sind ja auch diese … guck dir die Olympiade an, welche Sportarten erst jetzt dazukommen. Die Frauen machen Sportarten, die waren ihnen verboten. Es sollte immer artig und gesittet sein. Da sind wir immer noch auf dem Weg, dass das gleich ist. Meine Tochter würde das jetzt alles ein bisschen anders sehen, glaube ich. Also schon ein bisschen weiter, auch weil sie jung ist. Man kommt ja trotzdem manchmal wieder in alte Muster zurück. In unserer Gesellschaft ist es okay, aber du weißt nie, was in den Familien stattfindet. Und dann ist es immer noch, wenn da ein Mann ausrastet, das ist immer noch so ein Ding, das wird akzeptiert. Aber wenn Frauen ausrasten, dann sind sie hysterisch und haben sich nicht im Griff. »Das sind die Hormone!«, wird immer so abgewertet und wird negativer betrachtet.
Yvonne: Aber seit ich Hormone nehme, bin ich auf jeden Fall entspannter.
Uta: Ganz ehrlich, das ist auch schrecklich, was wir als Frauen erleben müssen. Ich ärgere mich auch über diese Wechseljahre, das ist nochmal die Pubertät, aber schlimm. Manche merken es ja nicht so. Aber das ist nochmal eine Zumutung, ja, aber auch eine Chance, finde ich, wenn man sich traut in der Situation zu sagen: Ach, diese Partnerschaft, das war’s jetzt. Manche werden da auch nochmal selbstbewusst. Das Leben verändert sich nochmal ziemlich gewaltig, finde ich.
Dietrich: Ich war im Arbeitsamt. Die Abteilung war fies, die Abteilung. Die Kollegen waren viel hintenrum. Eine Abteilung, wo nur Frauen waren, das ist übel … Da habe ich n Abflug gemacht.
Yvonne: Ich arbeite lieber mit Männern als mit Frauen zusammen. Woran liegt das?
Dietrich: Die sind einfach hinterhältig. Ja, die sind missgünstig gewesen. Aber sowieso, die sind unzufrieden. Die haben vielleicht keinen Sex, schlechten Sex. Aber dann haben die schlechten Sex. Die sind nicht zufrieden und lassen das auf diese Weise raus. Oder die haben zu Hause nichts zu sagen. Es gibt ja ganz viele, da haben die eben … Eigentlich haben die Frauen zu Hause was zu sagen. Unzufriedenheit … Warum macht man uns das Leben schwer? Weil man selber Sachen nicht auf die Reihe kriegt. So könnte man es ja auch anders lösen.
Yvonne: Ist das die unterdrückte Wut der Frau?
Dietrich: Ob das Wut ist? Wut. Aggression vielleicht. Aggression ist ja auch so die Richtung. Ja, nee, nicht nur. Die denken darüber nicht so nach, wie wir jetzt so nachdenken. Das passiert eben. Gewohnheit. Immer wieder. Unterdrückte Wut, ja. Aber die Männer im Amt waren auch nicht sympathisch. Die haben das schon von den Frauen übernommen. Die paar Männer, die es gab, die waren aber auch schon sehr angepasst. Nee, weg da. Wenn man das erkennt, Abflug.
Julia: Ich glaube, es hilft schon, wenn Menschen sich begegnen, nicht nur über die Tomaten oder über das Bier sich zu unterhalten, sondern, wenn das normaler wird, dass man auch über seine Gefühle spricht, über alle möglichen Gefühle, unter anderem eben auch die Wut.
Yvonne: Am ersten Blumenwurf-Tag in Weimar waren überwiegend Frauen. Beim zweiten in Weimar hat man sich bei uns ausnahmsweise vorab angemeldet, da wollten sich auch überwiegend Frauen beteiligen. Und da war dann die Erklärung der Frauen, dass die Männer sich das nicht trauen. Hier in Pößneck allerdings ist es jetzt anders, hier sprechen mehr Männer mit uns.
Julia: Also ich glaube, ich bringe das noch richtig zusammen, dass auch manche psychischen Erkrankungen, zum Beispiel auch Suizid bei Männern halt häufiger vorkommen, weil sie eben nicht gewohnt sind, über Gefühle zu sprechen und dadurch auch seltener in Therapie gehen. Da ist ja auch so das Vorurteil, da geht es immer um meine Gefühle und da gehen die dann gar nicht erst hin und sprechen halt auch mit Freunden und mit Familie halt weniger drüber.
Anonym: Meine Eltern haben nicht so viel gestritten, auch nicht vor uns Kindern. Die haben das eher unter sich ausgemacht. Mein Vater kann bis heute noch nicht mit dieser Wut umgehen. Ich glaube, weil er selber nicht genau weiß, wo die Wut herkommt oder die einzuordnen ist. Ich glaube, es ist schon eher ein unter Männern verbreitetes Phänomen – nicht unter allen, aber ich glaube unter einigen – vor allem unter Leuten, die es nicht so vorgelebt bekommen haben, wie man mit Wut gut umgehen kann oder überhaupt umgehen kann, ohne dass man das so cholerisch nach außen trägt. Genauso hat meine Mutter auch als Frau von ihrer Mutter nicht gelernt, dass sie auch wütend sein darf, dass sie nicht verstummen muss, sondern, dass sie auch was sagen kann, wenn sie etwas stört oder wenn sie etwas wütend macht.
Stefan: Was glaubst du, was bei dir anders ist, wenn du sagst, dass dies vielleicht eine Generationsfrage ist?
Anonym: Ich glaube wirklich so ein neues Verständnis von Geschlechtern, mit dem ich durch mein Studium konfrontiert wurde und einfach durch diese Besprechung von Geschlechtern oder Queerness auch im öffentlichen Raum, dass es mir hilft, zu verstehen: »Okay, Wut ist jetzt nicht nur ein männliches Attribut.« Sondern Wut ist halt ein Gefühl, was alle Menschen haben, egal, welchen Geschlechtes sie sind. Und ich glaube, dass es echt ein Generationending ist, weil heute viel mehr gesprochen wird und damit dieses Schweigen gebrochen wird. Davon habe ich halt einen Vorteil, weil ich dadurch reflektieren kann: »Oh, wie ist das eigentlich bei mir?«
Markus: Die stehen mit ihren neun Jahren vorm Spiegel die Mädels, sagen: »Ich bin zu dick.« Und ich denke so: »Boah«, weil irgendjemand gesagt hat: »Du bist zu dick.« oder »Du bist doof.« oder: »Du kannst kein Mathe.« Und schon kommen Verzweiflungsanfälle. Und sie kriegen kein positives Selbstbild. Also müssen sie es nach außen transferieren und irgendwen dafür verantwortlich machen, dass es ihnen nicht gut geht.
Yvonne: Glaubst du, dass Wut unter Frauen verbreiteter ist?
Markus: Nein. Sie ist vielleicht sichtbarer, dadurch, dass die Frauen sehr lange über Äußerlichkeiten auch von einer patriarchalischen Welt, wie sagt man, nicht identifiziert, sondern charakterisiert wurden. Ich habe gerade noch auf Facebook so einen Film gesehen aus den 50ern, wie eine Ehefrau ihren Ehemann zu behandeln hat: »Denken Sie immer daran, seine Probleme sind wichtiger als ihre. Geben Sie ihm nicht das Gefühl …« Das war ganz ernst gemeint. Ein Ratgeber, wie eine gute Ehefrau sein muss, dass sie ihm auch Sex anbieten muss, gutes Essen, dass sie ihm die Pantoffeln hinstellen muss. Das ist ja auch das, was wir gerade spielen in My Fair Lady. Das ist genau das Thema. Der alte weiße Mann erklärt dem Arbeitermädchen, wie man es macht, lässt das Arbeitermädchen erblühen, lässt es sie zur Frau werden und das alles nach seinen Maßstäben.
Yvonne: Aber sie rächt sich ja.
Markus: Ja, klar, weil es kein Vollidiot geschrieben hat. Aber im Grunde genommen ist es ein Märchen. Und ich kann dir sagen, es sitzen sehr viele Frauen im Publikum, denen das Herz aufgeht: »Der Higgins ist ein so gütiger Mann.« Der Pickering, den ich spiele, der ist so ein bisschen der Gutartige, wie der Horatio, der Freund, der das so ein bisschen abfedert, und der sozusagen die gute Seite des Mannes repräsentiert. Und klar, sie emanzipiert sich. Aber es ändert ja nichts am System, dass der Higgins reich und erfolgreich ist, weil er sich aus Egogründen ein Mädchen rauspickt. Die anderen Millionen Mädchen bleiben ja trotzdem da in der Gosse, wo sie sind.
Anonym: Ich musste auch daran denken, dass ich gerade in diesem Prozess bin zu lernen, auch Wut rauszulassen. Weil mir vor allem vorgelebt wurde, dann so schweigsam zu werden oder eben so ohnmächtig zu werden. Weil man gar nicht weiß: »Okay, das sind jetzt diese Gefühle. Was ist das überhaupt und wie kann ich damit halt so umgehen?« Dass ich das da nicht nur mit mir alleine ausmachen muss, dass sich so ein Kloß im Hals irgendwie bildet, den man nicht runterschluckt. Dann ist eine Wut, die sich nicht an mich richtet, also im zweiten Schritt schon. Aber im ersten Schritt bin ich halt wütend auf die Situation oder eine Person, die mir irgendwie ungerecht gegenübergetreten ist oder auch auf manchmal so strukturelle Sachen. Einfach so ein bisschen, so plump gesagt, das System irgendwie, in dem ich irgendwie eine bestimmte Rolle einnehme oder in eine bestimmte Rolle gedrängt werde, die ich halt blöd finde oder in der ich halt benachteiligt bin einfach. Und im zweiten Schritt bin ich wütend, dass ich die Wut in dem Moment nicht rauslassen konnte und dann damit so zurückgelassen bin. Und mir dadurch nicht eine eigene Stimme in dem Moment erkämpfen konnte, sondern dass ich dann halt so stimmlos geblieben bin. Ich glaube, das ist auch wieder auf diese Geschlechterfrage zurückzuführen oder Sozialisierung.
Ulrike: Also ich war als Kind sehr launisch und habe, glaube ich, war so … Also sehr oft sehr wütend, ohne es begründen zu können. Und ich bin sehr froh, dass ich das nicht mehr in dem Maße bin, dass ich schon noch wütend sein kann, aber dass ich manches irgendwie fatalistischer nehme. Also das in so einem Fluss betrachten kann, auch wenn mir andere Leute Wut entgegenbringen, die ich ungerechtfertigt finde. Da ist meine neuste … also früher habe ich … ich bin ich dann auch, also habe ich direkt darauf reagiert und ich schaff es immer mehr, meine feste Mitte zu spüren. Und ich merke, das ist da drüben. Das sind sehr wertvolle Entwicklungsschritte, also so im Älterwerden, deswegen lohnt es sich irgendwie, älter zu werden, finde ich.
Mann: Ich meine, das ist aber auch, kommt von einer Person zur anderen, egal aus welchem Geschlecht man kommt. Es gibt Leute, die das in sich reinfressen, es gibt Leute, die das dann zum Ausdruck bringen. Bei Frauen auch. Wenn sie sich äußern wollen, dass man sagt: »Nein, sie dürfen das nicht.«, das glaube ich nicht. Ich denke, wenn Frauen Kinder haben, sie denken an die Kinder, weil die Kinder dann hören ja oft, was die Eltern sagen und dann denken sie nicht an Konsequenzen. Deswegen passen die Mütter bestimmt mehr auf als die Männer.
Yvonne: Das ist aber so eine schöne Erklärung, die geht mir ganz zu Herzen.
Mann: Die Kinder versuchen sich immer an die Mutter sich dran zu halten. Was die Mutter sagt, ist immer heilig.
Yvonne: Denkst Du, dass Frauen das Gefühl haben, dass sie nicht wütend sein dürfen? Und findest du, dass Frauen einen anderen Umgang haben mit Wut?
Anonym: Also ich würde schon sagen, dass ich das bei mir auch über die Jahre stark verändert habe. Also, dass ich früher viel wütender war und das auch mehr gezeigt habe als jetzt mittlerweile. Eben auch durch die Reaktionen, die man vielleicht dann auch zurückbekommt. Ja, hat viel bei mir mit Familie zu tun. Deswegen glaube ich, bin ich da immer ein bisschen zurückhaltender.
Stefan: Und darf ich fragen, auf was du da früher wütend warst?
Anonym: Also meine Eltern haben sich getrennt. Und ich glaube, da geht einfach einher, dass man viel runterschlucken muss und sich das dann eben auch anders äußert. Also eben … Also ich würde mich nicht als passiv-aggressiv bezeichnen, aber ich glaube, dass man dann auch anfängt, eher gereizt zu reagieren auf Dinge, die vielleicht gar nicht damit zu tun haben.
Yvonne: Hast du davor versucht, die Wut zu unterdrücken, weil du deine Eltern nicht noch mehr belasten wolltest? Oder hast du sie eher dann rausgelassen, weil du deine Wut an ihnen auslassen wolltest?
Anonym: Ich glaube tatsächlich eher unterdrückt, weil ich auch noch eine jüngere Schwester habe und man ja auch irgendwo noch ein bisschen Vorbild sein möchte. Und dadurch, dass es bei mir in der Familie sehr viel anstrengend ist, ist es halt dafür …, also kommt es einem als Kind, glaube ich, vor, als hätte man dafür keinen Platz. Deswegen lernt man dann halt für sich irgendwie so einen Umgang zu finden, der vielleicht für einen am wenigsten schadet.
Yvonne: Glaubst du, dass das, wenn du ein Junge gewesen wärst, dass das anders gewesen wäre, der Umgang mit Wut?
Anonym: Das ist eine gute Frage. Weiß ich tatsächlich …, Ich glaube nicht. Ich glaube, das festigt sich irgendwann in der Persönlichkeit. Ich glaube, das macht keinen Unterschied, ob man dann weiblich oder männlich ist.
Yvonne: Ich kann jetzt nur für Deutschland sprechen, in Deutschland haben viele Frauen das Gefühl, dass Frauen nicht wütend sein sollen. Dass es den Jungs erlaubt ist, aber den Mädchen nicht.
S.: (Junge Frau aus der Ukraine): Nee, ich glaube in der Ukraine, jeder kann wütend sein, es ist egal.
Yvonne: Mädchen und Jungs?
S.: Ja. Es ist von Charakter. Ich glaube es ist auch nicht, woher kommt man. Einfach von Charakter. Es gibt ruhige Leute hier, da. Überall gibt wütende Leute oder … Einfach Charakter.
Ulrike: Ich denke, der Umgang mit der Wut, der muss gelernt werden, wie alles gelernt werden muss und eben auch, wie du sagtest, unterschiedliche Hintergründe, Prägungen männlich, weiblich, woher kommend, welche und so weiter, wie durfte man das zu Hause ausleben, wie sind die Eltern miteinander umgegangen, was wurde einem vorgelebt. Es gibt so tausend Schattierungen. Aber dieser progressive Umgang damit ist, ist vielleicht sowieso gut. Also wie so viele Dinge gut sind, über die man redet. Also das ist es auch für mich. Deswegen ist das auch so interessant, weil ihr das jetzt macht.