Anonym: Der Krieg macht mich wütend. Was da jetzt abgeht, dass das auch in den verschiedenen Ländern stattfindet, dass keine Ruhe reinkommt, dass es nicht mehr irgendwann mal gut ist. Doch Angst, ja, natürlich habe ich Angst. Ich habe Angst, dass das auch zu uns überschwappt. Wer sagt, dass es bleibt, wo es jetzt ist? Das ist eine Frage der Zeit, was Putin mit uns macht. Meine Kinder möchte ich gerne auch gesund und munter hier weiter aufwachsen sehen und auch zufrieden aufwachsen sehen und glücklich aufwachsen sehen. Das ist ja nicht immer so möglich, wenn das weitergeht mit dem Krieg.


Anonym: Das Hauptthema ist ja, dass dieser Krieg läuft und läuft und es sterben Menschen. Wenn der Russe abgeschossen wird, da freuen sie sich da drüber, so ungefähr. Und umgedreht: Da ist der Ukrainer gestorben, das sind alles kleine Soldaten, wo dann Kinder und Frauen übrigbleiben. Das ist nicht schön.


Yvonne: Du bist ja jetzt aus dem Grunde des Krieges hierhergekommen und was mich ziemlich berührt hat, war, dass deine Mama zurückgegangen ist und du bist hier geblieben. Du warst nicht mal 18 Jahre alt. Hast du Wut gehabt, dass du hier alleine zurückbleibst?

S. (Junge Frau aus der Ukraine): Nein, ich hatte keine Wut. Nee, überhaupt nicht.

Yvonne: Also du hast das verstanden?

S.: Ja, wenn, ja voll verstanden, ja, wenn für sie es besser, dann kann sie das machen.

Yvonne: Du hast nicht das Gefühl gehabt, du wirst im Stich gelassen?

S.: Nein.

Yvonne: Und seit diesem Überfall, also eigentlich habt ihr ja seit 2014 Krieg und du kommst ja aus der Ost-Ukraine

S.: Ja.

Yvonne: Empfindest du der Situation gegenüber Wut?

S.: Gegenüber jemandem oder?

Yvonne: Ja, also gegenüber jemandem.

S.: Ich weiß nicht, weil ich glaube, es ist so schwer, diese Politiksache und ich glaube, niemand weiß so genau, was ist da passiert und so. Ja, alle sagen etwas und so diskutieren über diese Themen, aber so die richtige …, was ist da wirklich passiert, wissen ja wenige, wenige Leute. Und ich kann nicht sagen: Ja, das ist das und so. Ja.

Yvonne: Also du bist jetzt auch nicht wütend auf Russland, auf Putin, auf die russischen Soldaten?

S.: Ja, wenn ich sehe, so die kaputte Krankenhaus für die Kinder, ich verstehe das einfach nicht, wie kann man das machen einfach? Ja, aber so dass ich sage: Ja, ich töte alle. Nein.


Ulf: Was mich wütend macht, wenn ich zum Beispiel unsere Außenministerin höre, diese extreme Kriegstreiberei in meinen Augen. Wir haben eine Verantwortung aus dem Zweiten Weltkrieg heraus. Wir haben so viele russische Menschen im Zweiten Weltkrieg ermordet. Und das spielt jetzt alles gar keine Rolle mehr. Da reden wir nicht von. Hingegen von den Juden. Unzweifelhaft, brauchen wir gar nicht drüber reden. Ja, das waren 6 Millionen Tote. Und 23 Millionen Russen spielen überhaupt keine Rolle. Tote Russen spielen überhaupt keine Rolle mehr in der deutschen Vergangenheit. Das ertrage ich nicht. Finde ich furchtbar. Das macht mich wütend.


Christina: Mein Vater hat mir eingebläut: Was hat er gesagt? Mädchen, man kann auf vieles verzichten, aber Krieg ist das Schlimmste, was gibt. Der kam, kam aus dem KZ. … Er hatte die Nummer hier drauf und alles. Und da ist der 1941 eingezogen worden. Nach Auschwitz, dann nach Buchenwald.


Wolfgang: Ich habe halt gemerkt, dass ich nicht auf Hitler wütend bin, sondern Hitler, habe ich von Anfang an gelernt so im Schulunterricht, das ist irgendwie eine andere Ebene und die ist ganz weit weg. Aber die Beschäftigung, auch wenn ich ins KZ Buchenwald gehe, oder so, das ist alles ganz furchtbar und grausam, aber ist ganz weit weg von der Zeit, von mir und das macht mich nicht wütend. Aber mich macht dann halt wütend, wenn man das anfängt zu ignorieren, dass, was damals war und plötzlich rechten Leuten hinterherrennt oder rechte Parolen mit dem Wissen, was das damals alles gemacht hat. Also wenn es um hier und jetzt halt irgendwie geht, dann merke ich, dass mich das wütend macht, warum man nicht aus der Vergangenheit lernen kann, warum das plötzlich wieder passiert und warum wir dann wieder in den Krieg führen.

Wo wir doch eigentlich alle gelernt haben in Europa, dass es total falsch war, was wir getan haben und dass wir eigentlich ein anderes Leben leben und dass das eigentlich normal ist, dass wir in Frieden miteinander leben können, dass es toll ist. Und jetzt passiert wieder ein Krieg. Das macht mich wütend und verzweifelt. Ich zähle Donald Trump dazu, der auch eine extreme Gefahr für die Demokratie ist, da zähle ich Erdoğan dazu, Putin, den aus China. Ich zähle die Despoten auf, die mich wütend machen. Ich entwickle Strategien im Kopf, wie ich mit dieser Wut umgehe. Ich habe gemerkt, dass es mir gut tut, wenn ich denen etwas Gewalttätiges antue im Kopf. Bei Putin habe ich mir viele Dinge vorgestellt, was ich mit dem machen würde, um irgendwie diese Gewalt, die er ohne Probleme, also mit einem Fingerschnipsen anderen antun kann, wie der das erleben könnte. Ich habe mir so kindliche Gedanken darüber gemacht, dass es gut wäre, dass, wenn du einen Krieg anfängst und anderen Menschen Gewalt antust, dass du diesen Schmerz selbst spüren müsstest. Ich könnte mir vorstellen, dass dann niemand mehr so etwas entscheiden würde, niemand mehr anderen Gewalt antun würde, weil sie den Schmerz ja selber spüren würden. Ich glaube, diesen ganzen Schmerz, wenn du alle Menschen in der Ukraine zusammennimmst, diesen Schmerz kann kein Mensch aushalten. Ich habe wirklich ganz primitive Sachen mit Putin gemacht, in meinem Kopf. Ich habe ihn splitternackt über die Straßen treiben lassen. Oder manchmal habe ich gedacht, man müsste ihn einfach in einer Bedeutungslosigkeit versinken lassen, dass der in so einer Sozialwohnung wohnen und mit seiner Aldi-Tüte zum Einkaufen gehen und den Spott aller Leute ertragen muss. Solche Sachen. Ich habe versucht, eine Strategie zu entwickeln, meine Wut irgendwie loszuwerden. Ich fand das ganz hilfreich, damit umzugehen.


Yvonne: Sie sagen, die Wut auf antirussische-Propaganda spielt in Ihrem Umkreis eine Rolle.

Ulf: Genau.

Yvonne: Wie Sie das schildern, verquickt sich das auch mit der Wut auf die aktuelle Regierung.

Ulf: Wenn ich so die Medien verfolge, denke ich immer, die Wahrnehmung ist irgendwie völlig …

F: sehr einseitig

Ulf: … verschoben. Wenn ich die Medien höre, denke ich, alle schimpfen auf Russland. Das stimmt aber nicht. Ich kenne keinen in meinem Umfeld.


Karin: Im engeren Freundeskreis gibt es eigentlich keine Wut. Eine gewisse Polarisierung gibt’s bei wenigen in unserem Umkreis. Da scheiden sich die Geister an den momentan aktuellen Konflikten, also Gaza, Israel und auch Ukraine und Russland. Da gibt’s oft relativ viel Verständnis vor Russland. Das wundert mich immer ein bisschen. Das Land, was wir vielleicht nicht mal erträumt, uns vorgestellt haben als ein sozialistisches oder kommunistisches Land, gibt’s ja nicht mehr. Das ist eine Kleptokratie und nichts anderes. Also, da wundert man sich. Aber wir können noch miteinander sprechen. Aber da ist nicht immer Konsens.


Anonym: Wir sind hier, wir sind im Kapitalismus, das ist die beste mögliche Gesellschaft in meinen Augen, die wir jetzt haben. Aber es ist keine gute. Und in Russland ist ja auch kein Kommunismus oder Sozialismus, das ist ein Oligarchen-Staat. Da ist auch nicht alles Gold, was glänzt und nicht gut. Lange nicht gut. Da brauchen wir nicht drüber reden. Aber Putin seine Geschichte … aber auch in dem Krieg in der Ukraine tragen wir eine maßgebliche Mitschuld. Das wird völlig unten vergessen und das spielt überhaupt keine Rolle. Hauptsache, wir können Waffen verkaufen, weil die Autoindustrie nicht mehr läuft. So, das ist mein Eindruck. Und das für die Rüstungsindustrie, da stellt sich dieser Hofreiter hin, der noch nie eine Waffe in der Hand hatte und ist auf einmal Waffenexperte und Panzerexperte, weil er keinen Job abgekriegt hat in der Regierung. Das sind solche Sachen, die machen mich tatsächlich wütend.



Wolfgang: Das Erschreckende ist, ich beschäftige mich ja jeden Tag mit Krieg so und mit den Auswirkungen da drauf. Und dass man da so gewissermaßen abstumpft. Aber dass ich auf jeden Fall dazu kämpfe, dass das bei mir nicht in Vergessenheit gerät. Also ich möchte das nicht verdrängen oder mich irgendwie einigeln und sagen, das gibt es nicht, sondern halt aktiv begreifen, dass das ist und dass das Realität ist und dass man alles dafür tun muss eigentlich, dass es beendet wird. Und da kommen wir zum Einknicken vor den Despoten halt zu dem Punkt, den ich dann auch nicht verstehen kann, wenn man halt so ewige Diskussionen hat, wie mit diesem Taurus-Marschflugkörper. Darf man den liefern oder nicht? Das empfinde ich als totalen Bullshit, weil natürlich, wir müssen alles liefern, um diese Gewalt, die auf der anderen Seite durch den Despoten entfacht ist, das musst du mit Gewalt eindämmen. …

Also ich kann es nachvollziehen, ich verurteile die Menschen auch nicht, die sagen, wir können doch keine Waffen liefern, weil die ja zutiefst an Frieden glauben. Und die möchten ja auch den Frieden, nur ist dann halt der Weg, glaube ich, ist einer, den ich weltfremd finde, gewisserweise, weil man sich schützt vor dem, was Krieg ist und das möchte man nicht haben: Krieg. Und auf der anderen Seite ist der Krieg aber da und da passiert etwas ganz Bestimmtes und das kannst du nur aufhalten, indem du halt mit aller Macht was entgegensetzt so. Und deswegen macht mich, machen mich solche Diskussionen manchmal wütend oder Entscheidungen oder Zögern oder so, weil eigentlich völlig klar ist, was gemacht werden muss.



Anonym: Priorität hat eigentlich nur, zumindest kommt das so rüber: »Wie können wir die Russen bekämpfen?« Das hat Priorität. »Wie kriegen wir Waffen darüber?« »Wie kriegen wir den Russen besiegt?« Dass da aber Menschenleben dahinter stehen … Zumindest versteht man es als Laie so. Da werden mehr Waffen dahingeschickt, noch mehr, irgendwann geht’s weiter. Es ist ja immer eine Gegenreaktion da. Das, was reingesteckt wird, kommt als Gegenreaktion von den Russen wieder.


Anonym: Man weiß ja gar nicht, wie es ausgeht. Und ob mir alles richtig erfahren, was da passiert. Die ganze Korruption, die in der Ukraine ist, wenn de das hörst, is doch ne Sauerei. Ich habe schon mal gesagt, die Korruption, wenn so viel Korruption in Kriegszeiten is, die hätten se früher an der Wand gestellt und hätten se erschossen. Und das is so. Und das geht auch weiter, wie es aussieht. Wir sind ja … schicken Geld und schicken Geld und dann auf einmal ist Geld verschwunden in dunklen Kanälen. Das kanns doch nich sein! Und dass da die Leute ärgerlich sind, da braucht mer sich nich zu wundern.


Yvonne: Wir haben viele Leute getroffen, die wütend sind auf den Krieg in der Ukraine. Aber das kann man ja nicht beeinflussen. Was macht man dann damit?

Kathrin: Und gerade weil ich mich viel mit Hitler beschäftigt habe, weil ich mich viel mit Stalin beschäftigt habe, weil ich viel mit Autoritären …, vor allen Dingen toxische Männlichkeiten als Arbeitsthema habe, weiß ich im Prinzip, dass die Idee natürlich … Alle sagen sofort: Der Krieg soll aufhören. Sofort! Wer soll dagegen sein? Aber bitte schön, der Einzige, der den Krieg sofort beenden kann, ist Putin. Auch dieser Trump wird das nicht können, der sich ja einbildet, er könne mal in 24 Stunden so mit seinem aufgeblasenen Ego sich hinsetzen und Fotos machen. Hier sitzt Putin und hier sitzt Selenskyj und dann gibt es schöne Fotos. Und dann sagt er, wie man das mit Kindern macht, ihr kennt das ja, ihr habt ja Kinder: So und jetzt gebt euch mal die Hände. Und dann ist die Welt in Ordnung. Natürlich nicht. Es gibt ja ein berühmtes Vorbild im Nahen Osten mit Arafat und Clinton. Also, man hat die Hände gegeben, da hinten steht Clinton und alles ist gut. Und das hat nur so lange gehalten, bis der (israelische) Präsident ermordet wurde.


Frau: Wut? Ich würde eher sagen: Unzufriedenheit. Eher das.

Mann: Wütend? Ich sag mal: Früher sind wir auf die Straße gegangen für den Frieden. Jetzt macht das kein Mensch mehr. Die Regierung will nicht, dass du für den Frieden demonstrierst. Gegen rechts sollen sie alle demonstrieren. Ich bin kein Rechter oder was. Die Friedenstaube haben wir früher gehabt. Früher haben wir gekämpft. Als Jugendliche sind wir auf die Straße gegangen. Jetzt siehst du das gar nicht mehr. Für den Frieden.

Yvonne: Aber gab es nicht die große Demo mit Sahra Wagenknecht?

Mann: Einmalig, sag ich mal. Eins, zwei Sachen gibt’s sicherlich. Aber die Masse wird nicht bewegt für den Frieden, definitiv nicht, sag ich mal. Das ist ne Sache, die mich bewegt und mich ein bisschen wütend macht.

Yvonne: Dass es zu wenig Friedensinitiativen gibt?

Mann: Genau, genau. Dass andere Leute sich nur noch bereichern an dem Krieg. Und nun noch Geld gedruckt wird dafür. Und für den Frieden? Da sterben Menschen. Die Rüstung verdient sich dumm und dämlich damit. Und das sind so Sachen, da frag ich mich immer … Die Regierung steht ja dreifach dafür ein. Das kann ich nicht nachvollziehen, dass da keiner dafür ist. Die sind alle für Krieg eigentlich. Damit wird Geld verdient. Es ist ja wirklich … damit wird Geld verdient, bin ich der Meinung. Ja, die Rüstungsindustrie, die machen wirklich Kohle ohne Ende. Das ist menschenverachtend. Das finde ich das Schlimmste. … Jeden Tag. Jeden Tag!

Frau: Das ist so kalt. Das ist abgestumpft. Das kommt in den Nachrichten.

Mann: Das Schlimme ist ja, es kommt immer nur CO2 und gegen rechts. Die wichtigen Themen, wie der Krieg, dass man mal was gegen den Krieg machen sollte, wenn Menschen sterben, das ist alles nur so Hintertür. Und das finde ich … Das ist gelenkt … Das ist Shit. Sonst würden die Leute auch viel mehr auf die Straße gehen. Ist so.

Yvonne: Wir freuen uns auf die Friedensdemo bei Ihnen.

Mann: (lacht) Wir werden alle beide loslaufen, ich nehme den Handwagen mit.


Michael: Überall zahlen wir dazu. Ne, hier Krieg, weil Krieg sowieso Schwachsinn ist, das ist, … Weil ein Normaldenklicher, der kann das eh nicht nachvollziehen.

Lissy: Tiere würden nie so weit gehen. Die gehen bis zum gewissen Punkt.

Michael: Überall, überall geben wir zu, damit die ihre Kriege machen können.

Lissy: Wir Menschen, sage ich immer wieder, sind absolut naiv. Also … würde in der Tierwelt nicht funktionieren, so was. Oder gibt’s nicht.


Markus: Ich finde die Situation, in der wir jetzt sind, sehr beängstigend, weil die Tabus abgebaut werden. Ich bin ja auch so ein Friedenshetzer, ein Kriegsdienstverweigerer und so. Mir macht das große Angst. Obwohl ich das realpolitisch alles verstehe. Ich bin wahrlich kein Putinfreund. Ich denke auch, man muss ihm mit Härte begegnen. Aber da geht es schon ins Klischee. Ich weiß nicht, wie man … Es geht nicht um Menschen, es geht ums System. Wie begegnet man einem System? Keine Ahnung. Aber dieses Auge um Auge, Zahn um Zahn, ist gerade so en vogue. Noch mehr Israel-Gaza, das ist noch deutlicher. Es wirkt auf mich archaischer. Das macht mich total traurig. Trauer ist ja mit Wut irgendwie verwandt, glaube ich jedenfalls.


Ulf: Also ich kenne, also in meinem Bekanntenkreis, und der ist weitgefächert, kenne ich keinen, der, der, der die Alleinschuld bei Russland sieht für die Ukrainekrise. Keiner! Ja, wir sind schon …, wir haben eine Verantwortung als Europäer für solche Sachen und wir haben das ja mit provoziert. Die ganze Geschichte muss man seinen Teil auch sehen dabei. Natürlich hat Russland die überfallen und kein anderer. Klar. Ja. Und muss man auch nicht gut finden, aber uns selber ins Knie zu schießen mit den Sanktionen. Das ist ja … und dann erzählt man uns, das macht mich auch so ein bisschen wütend, dass man uns erzählt, wegen der Ukraine-Krise ist jetzt hier ne Weltwirtschaftskrise entstanden. Die Weltwirtschaftskrise war schon lange da, die Wirtschaftskrise, die gibts schon 30 Jahre. 20 Jahre vorher ging das ja eigentlich schon los. Das ist hier voll im Gange und die Lösung ist eigentlich immer Krieg. Ja, leider. Es gibt natürlich diese Amplituden. Wenn die ausschlagen, wir wissen noch nicht, ob das hier schon die Endstufe ist, die wir ja erreicht haben, dann wird‘s böse. Manchmal erholt sich es noch mal zwischenzeitlich. Periodische, jahreszyklische und periodische Krisen – das ist Kapitalismus.

Yvonne: Was wäre denn Ihre Wunschvorstellung für diese …, für unsere jetzige Politik?

Ulf: Eine diplomatische Lösung zu finden für die Situation. Auf diplomatischen Wegen, wie es die ganzen Jahre immer funktioniert hat. Mal mehr gut und mal schlechter.



Er: Unser Olaf, der immer alles vertuscht. Das ist doch wirklich so. Der immer sagt: »Bei mir gibt’s das nicht.« Da kamen erst mal die Blauhelme. Dann kamen irgendwelche Flugzeuge. Dann kam das. Die Waffen, die bis zum Russen rüberschießen können. Ich glaube, dass das viele Leute bewegt.

Sie: Das hört nicht auf. Wo soll das hinführen? Da hat man eigentlich Angst. Das betrifft die eigenen Kinder, die vielleicht irgendwann mal eingezogen werden, man weiß es nicht. Es betrifft die Enkelkinder. Uns betrifft es ja in dem Moment nicht mehr. Ich meine, wir werden da nicht mehr herangezogen. Aber unsere Kinder betrifft es und unsere Enkelkinder. Davor habe ich Angst. Das ist nicht Wut, davor habe ich Angst. Was wird noch kommen? Was passiert nicht?

Er: Man müsste das Volk eigentlich fragen, was es will.

Yvonne: Sie würden sich also mehr Basisdemokratie wünschen?

Er: Jaja. Man tut immer nur irgendwelche Sache vorbringen, dass man ab 16 wählen darf… Aber die Leute dahinführen, warum sie eigentlich wählen sollen und was sie eigentlich bewegt. Wenn du so rumguckst, die leben alle so in die Welt. Jeder lässt den Ball fallen, weil sie keinen Bock haben. Die rammeln auf Arbeit und haben keinen Bock mehr auf solche Sachen, weil das schon zwei Jahre so geht.


Yvonne: Ich will jetzt gar nicht nach deiner Haltung fragen, sondern ob überhaupt solche Themen wie Gaza, Israel, Ukraine, Russland eine Rolle spielen?Unterhaltet ihr euch darüber oder spart ihr das auch aus, weil ihr womöglich auf unterschiedlichen Seiten steht?

Mitglied im Ausländerbeirat: Offiziell sparen wir uns das. Aber in Zweiergesprächen und so was besprechen wir das oft. Aber offiziell halten wir das Thema komplett raus. Wir vertreten alle Ansichten hier, alle Meinungen und so was, und wir müssen uns nicht so gegen eine Gruppe oder gegen einen so äußern. Wir wollen auch keine internen Konflikte, nicht nur bei uns im Ausländerbeirat, aber auch nicht bei den Communities. Jede Community hat schon eine Meinung und sie sollen sich dann nur, wenn sie auch sich äußern, sollen sie auch die anderen nicht damit belasten, oder dass dann auch irgendwie Konflikte entstehen. Also da halten wir uns natürlich auch raus, also wir haben einen Überblick, dass dann auch nicht außer Kontrolle gerät alles. Ja und ich meine, da sind ja viele Migrantenorganisationen. Wie gesagt, jede Organisation hat schon eine Haltung, aber keine oder keine einzige Organisation äußert sich auch in dem Zusammenhang.



Janek: Als ich beim Kunstfest gearbeitet habe, begann dieser Angriffskrieg gerade. Da meinte das Kunstfest in einer Gesprächsreihe, die sie ja immer auf diesen Dörfern machen, ich solle mit den Leuten auf den Dörfern über Putin und den Angriffskrieg diskutieren. Hab ich gesagt: »Spinnt ihr?« Die Leute kennen noch nicht mal ihren Landrat. Die werden sich doch wahrscheinlich stark zurückhalten, weil es ja zu nichts führt, wenn Herr Meier aus Friedrichsrode sagt: »Ich finde aber den Angriffskrieg richtig, oder ich finde ihn falsch.« Das ist genauso relevant, wie wenn er es nicht sagt. Also, was sind die Gegenstände des Demokratischen in solchen Gemeindeverbänden?

Ich habe das Empfinden, dass es kein Problem mehr gibt, das nicht komplex ist. Also etwas, wo man einfach wirklich »Ja« oder »Nein« sagen könnte. Also, dass es die Sowohl-als-auch-Ebene gibt. Und bei solchen weltpolitischen Fragen muss nicht jeder Einzelne ein »Ja« oder ein »Nein« haben. Und dass muss man auch nicht von ihm oder von ihr erwarten. Also, dass die politische Meinungsbildung zu einem »Ja« oder »Nein« führt, sondern …

Ich trage verschiedene Gedanken mit mir herum. Einige haben mit meiner Erziehung in der DDR zu tun, mit meinen Brieffreunden, die ich in Russland hatte, mit der Geschichte im Allgemeinen, dass schon unsere Geschichte eben auch die ist, dass man logischerweise zwar Grenzen nicht verletzen kann, aber es ja immer getan wird. Ich habe viele Freunde in Berlin, die in der Bundesrepublik sozialisiert sind. Die sind viel stärker klar zu »Ja« und »Nein«. Also, meistens »Ja« zu Waffenlieferungen, viel, viel stärker. Und ich sage immer: »Weil die Problematiken so komplex sind, kann man entweder sich sagen: Wir halten jetzt mal ganz kurz die Welt an und überlegen mal, ob die Komplexität, die ja nicht irgendjemand für uns geschaffen hat, sondern die wir Menschen geschaffen haben, ob wir da nicht Wege durchfinden, die jetzt nicht Dinge unterkomplex machen, aber verstehbar machen. Und Dinge, die wir selber nicht verstehen können, sollten wir nicht tun.«