1 | Hilde und Alfred
Hilde: Ich muss jetzt echt mal ganz provokant fragen: Sind wir so ne Gesellschaft, wo wir uns immer nur alle hinstellen und sagen: »Ey, was ist denn das hier? Warum macht da keiner was?« Wo ist denn da, ich meine man sieht irgendein Problem oder hat irgendein Problem, da muss man doch erstmal selber irgendwie gucken, wo kann man da mal was machen, wie kann man da einen Ansatz finden.
Alfred: Nicht auf andere zeigen.
Hilde: Aber dieses Ganze irgendwie immer warten, bis irgendwas passiert und es passiert nix. »Ja da kann ich doch nix machen. Die anderen machen nix. Es kommt keiner irgendwie, der hier die Sache in Ordnung bringt. Hey ich doch nicht!« Und das ist auf jeder Ebene. Ey, ich führe da Diskussion in der Schule, wo ich mir denke, ja, weil ich da jetzt auch eine Abteilungsleitung machen muss und dann kommen die Kollegen und sagen: »Ey, wie soll ich denn denen das erklären? Die verstehen mich nicht.« Sag ich: »Ja, dann machste halt mal ein paar Bilder oder so irgendwie.« »Ja, wieso ich?« »Ja«, ich sag: »Du hast doch das Problem. Wieso soll denn ich für dich die Bilder machen?« Nö, aber das wird dann irgendwo abgeladen und dann muss das irgendwie gelöst werden und wenn es nicht gelöst wird, dann liegt es ja nicht an ihnen. Das geht mir total auf die Ketten. Also von daher haben wir wahrscheinlich schon ein gesellschaftliches Problem, diese Idee, dass irgendwer was machen muss, dass die Politiker immer alles richten müssen oder so was.
2 | Karin und Bernhard
Karin: Wir sind nicht so die Wutbürger.
Bernhard: Ich hab ja auch gleich gesagt, ich hab keine. Das ist mir fremd.
Karin: Na ganz fremd is es nicht, aber…
Bernhard: Von mir meine ich auch, dass ich keine Wut habe. Damit eigentlich falsch sitze.
Yvonne: Warum hast du keine Wut?
Bernhard: Ich bin der Typ nicht. Und außerdem habe ich keine Lust über, eher ständig Negatives zu reden. Und wenn man Wut hat, dann ist man negativ eingestellt.
Karin: Es ist ein destruktives Gefühl, was ja auch zu aggressivem Verhalten führen kann. Und es gibt ja auch verschiedene Methoden, mit denen man seinen eigenen Ärger, seine Wut ganz gut kontrollieren kann. Also zum Beispiel nicht so spontan sofort los zu palavern, jemanden anzuschreien, sich auf was Schönes konzentrieren, kleinen Spaziergang machen, sich Zeit nehmen. Ist das morgen noch genauso? Also man kann ja damit auch lernen, umzugehen.
3 | Lissy & Michael
Lissy: Manchmal geh ich … Ich geh ja mit den Hunden viel in den Wald. Da schrei ich eben manchmal. (lacht)
Michael: Ich mach’s auch viel mit mir selber aus, wenn ich sonntags in der Kirche bin. Bist, sag ich mal, auf irgendjemand böse, egal was die Woche passiert ist.
Lissy: Auf mich zum Beispiel. Ja (sie lacht), Sag’s doch!
Michael: Ja, aber dann denke ich auch mal über mich drüber nach: Was hab ich denn für eine Scheiße gebaut, die Woche? Also nicht immer nur auf andere zanken, sondern auch mal selber an sich denken. Was hat man verkehrt gemacht die Woche? Was hat man gut gemacht die Woche?
Lissy: Wollt grad sagen, musst aber auch die positive Seite seh’n, nicht nur negativ.
4 | Ingrid
Ingrid: Und zwar ist das der Egoismus unter den Menschen und die Gier nach Geld und Macht. Das macht mich so wütend, dass dieses Miteinander unter den Menschen einfach irgendwie verloren geht. Ich wohne auf dem Dorf. Da fängt das wieder an, sich zu normalisieren. Aber ich kann schon gar keine Nachrichten mehr gucken, weil ich mich nur noch aufrege, wenn einer denkt, er muss die Welt beherrschen. Oder ich …, er braucht das meiste Geld und ich brauche nur das… Macht, kriege ich so ein‘ Hals. Und dann muss ich wegschalten, weil ich kann mir das einfach nicht anhören. Und dann eben och, wie gesagt, diese Kriegsführerei. Warum muss ich das tun? Warum, warum? Ich verstehe nicht, was in den Köpfen von solchen Leuten vorgeht. Das ist eigentlich mein größtes Problem.
Yvonne: Ich kann Sie wahnsinnig gut verstehen.
Ingrid: Ja, das ist irre. Ich krieg da so Wut, dass ich heulen könnte. Das ist doch Mist. So so kann man doch nicht leben auf Dauer.
5 | Markus
Markus: Trauer ist ja mit Wut irgendwie verwandt, glaube ich jedenfalls. Aber dieses, dass die Menschen so aufgehetzt werden, gegen irgendwas, gegen Juden, gegen Palästinenser, gegen »Der wohnt in der Sowieso-Straße.« Meine Kinder fangen jetzt schon an, zu unterscheiden zwischen Tiefurt Alt und Tiefurt Neu. Und in Tiefurt Neu gibt es so eine neue Siedlung. »Die sind doof!« »Ja, warum sind die doof?« »Ja, die sind doof. Die gehören nicht zu Tiefurt.« Also völlig unreflektiert versuchen die schon so, diese Boundaries aufzubauen, diese Identifikationen. »Wir sind die alten Tiefurter«. Wobei das gar nicht stimmt, wir sind genauso zugezogen. Aber diese von der Siedlung da oben, die sind eben doof. Ja, und dann erklärst du es ihnen: »Wir sind moralisch« und so. Und dann sagen die: »Ja, aber die haben angefangen. Die haben gesagt, wir sind doof.«
Und ich habe das Gefühl, in der Realpolitik ist genau diese primitive Gefühlswelt am Laufen durch die Identifikation. Wir sind der aufgeklärte Westen. Die sind der patriarchalische Osten. Das sind die gequälten Juden, die jetzt zurückschlagen. Das sind die Palästinenser, die sich nicht befreien dürfen. Und ich frage mich: Was soll diese Identifikation mit einer Gruppe ständig? Ich bin Wessi, Ihr seid Ossis. Was soll denn das? Für mich ist es emotional Kindergartenniveau. Das ist mir doch scheißegal, ob du schwarze Haut hast oder russischen Akzent hast oder reich oder arm bist oder in Dresden oder in Gelsenkirchen aufgewachsen bist. Völlig egal. Ist mir wirklich egal.
Yvonne: Warum glaubst du, wollen wir einteilen?
Markus: Weil Gott tot ist. Ich glaube, dass wir ganz große Schwierigkeiten haben, uns mit uns selbst zu identifizieren und uns mit uns selbst wohlzufühlen. Und in dem Moment, wo wir das nicht können, können wir uns auch mit anderen nicht wohlfühlen.
6 | Martin
Martin: Aber die krakeelenden Lauten, und so ist es auch in der Medienlandschaft, der, der am lautesten krakelt, der die krasseste Überschrift hat, der steht im Fokus, im Mittelpunkt, verkauft sich dadurch oder verkauft seine Argumente dadurch. Themen durch Lautstärke zu besetzen, wo der Großteil der Bevölkerung gegen dieses Thema ist und eigentlich eine andere Lösung möchte, sich aber nicht traut in der Öffentlichkeit seinen Mund aufzumachen, aufgrund der Schweigespirale und aufgrund des Leumunds, den sie zu befürchten haben, öffentliche Meinungen. Ja und dann einfach lieber schweigen, anstatt entschieden gegen diese Meinung vorzugehen. Dann wird auch der andere Teil der Bevölkerung, der immer sagt: »Wir sind gespalten« feststellen: Wir sind gar nicht gespalten! Ganz im Gegenteil! Eigentlich sind wir alle vereint. Es gibt wirklich Menschen, die wollen mir allen Ernstes weis machen: Wir werden gespalten in dieser Gesellschaft. Wir sind ein Stück weit gespalten, aber nicht in der Mitte, sondern da ist ein kleiner Teil. Wie war das Bild? Ein riesengroßer Holztisch und ein Splitter davon ist abgeflogen. Das ist die Spaltung.
7 | Christine und Karl-Josef
Yvonne: Gibt es denn etwas für Euch, was bei Euch Wut entfacht?
Karl-Josef: Öfters mal am Tag.
Christine: Ja, er hat öfters mal.
Yvonne: Öfters mal am Tag?
Karl-Josef: Naja, wenn ich den Fernseher anmache, krieg ich schon…
Christine: Also früh beim Frühstück gucken wir erst mal die ganzen Weltnachrichten. Und dann steigt der Pegel eben hoch.
Karl-Josef: Ja, weil das meiste gelogen ist, was da kommt. Alles verdreht. Das ist einfach nicht die Wahrheit. Die sehen alles nur von ihrer Seite. Und die andere Seite ist alles eben … Ja, kann man schlecht sagen. Auf alle Fälle ist es, wie soll ich sagen, mhh …
Christine: Du musst das wissen, du bist anders wie ich.
Karl-Josef: Ja.
Christine: Ich glaube immer an das Gute des Menschen, ich war früher Kindergärtnerin sehr viele Jahre.
Yvonne: Ich auch.
Christine: Genau. Und da war ich eigentlich immer vom Guten ausgegangen. Und das Bild wendet sich leider.
8 | Wolfgang
Wolfgang: Also das eine ist diese Information, die mich ärgerlich oder wütend macht, die muss ich irgendwie teilen mit nem anderen, aber dieses teilen mit einem anderen, bedeutet, glaube ich, vor allen Dingen in erster Linie, die Wut loszuwerden. Weil ich habe sozusagen den, ich gehe mit meiner eigenen Wut oder irgendwie damit um, indem ich sie rauslasse. Also ich schrei die dann raus oder ich hau die irgendwo auf irgendwas, obwohl nee Hauen weiß ich nicht so richtig, Schreien, Schimpfen, also Fluchen ist etwas, was ich gelernt habe, was sehr befreiend ist, weil du das dann natürlich gleich rauslässt. Aus mir selber ist die Wut dann rauskanalisiert, aber es hat den Nachteil, dass andere das halt irgendwie mitkriegen und aushalten müssen. Und weiß, dass das halt auch ein Problem ist, wenn ich die Wut einfach so rauslasse, dass sie bei mir nicht mehr ist, aber die kommt bei, das schlägt dann auf andere ein. Und das ist eigentlich doof.