Thomas Kemmerich: Nein, Wut habe ich damals überhaupt nicht gefühlt. Das sieht man auch, wenn man sich die Bilder von damals ausschaut. So eine Übersprungshandlung. Ich reibe meine Hände, um dem Reflex nicht nachzugeben, der mir als erstes durch den Kopf ging. Den vielleicht viele haben: Wenn dir eine was vor die Füße schmeißt, dann tritt es zurück. Tritt es weg. Früher flogen mal eine Cola-Dose oder Bierdose rum, dann hast du die weggekickt. Und das ging mir durch den Kopf. So nach dem Motto: »Trittst das Ding jetzt hinter ihr her.« Aber im selben Bruchteil der Sekunde wusstest du: Natürlich laufen Kameras. Machste nicht, bleibst cool.
Stephanie E.: Die Hennig-Wellsow hat gedacht, dass sie die Blumen dem Bodo geben könnte. Und dann hat das nicht geklappt. Die war bestimmt wütend. Und Kemmerich … da waren alle entsetzt. Aus der Situation heraus war der Wurf dann ok so. Man hätte den Strauß ja nicht überreichen können. Das verstehe ich. Das war eigentlich ziemlich ehrlich. Ich würde es jetzt aber nicht ganz so überhöhen. Das hat einmal funktioniert, aber man kann das nicht beliebig wiederholen.
Y: Doch. Bei uns.
S: Im Prinzip geht das eigentlich nicht: Immer, wenn einem was nicht passt, den Leuten Blumen vor die Füße knallen. Aber es ist schon ein deutliches Signal. Doch, das war schon richtig. Man hätte es dem Kemmerich nicht geben können. Nicht in dieser Anspannung.
Anonym: Die haut `n Strauß Blumen hin. Da müssten sie der Merkeln auch noch `n Strauß Blumen vorn Arsch schmeißen. Das ist doch so. Ich kann doch nicht von sonst woher schreien: »Das muss man rückgängig machen oder sonst was.« Das geht doch nicht. Was machen die anderen Parteien, die drei Parteien? Keener konnte gewinnen. Isso. Guckt doch mal das Land an, was hier ja los ist.
Stephanie E. Dass ihr Blumenwurf jetzt so ikonisch darstellt, das finde ich ein bisschen übertrieben, ehrlich gesagt. Ihr bezieht Euch ja sehr darauf. Das ist ja schon DER Blumenstraußwurf.
Kay V.: Die FDP hat das mit der CDU gemacht, um Ramelow nicht mehr ins Amt kommen zu lassen. Das war demokratisch möglich. Dann ist das halt so. Die haben sich so zusammengefunden. Und dann habe ich das zu akzeptieren. Es geht nicht, dass ich dann böse oder garstig werde, weil es auf einmal nicht so läuft, wie es mir schmeckt. Es war ja eindeutig: Ramelow hatte nicht mehr die Mehrheit. Die Möglichkeit bestand, dass es genauso kommt, wie es gekommen ist. Und dass die das nicht akzeptiert haben, das finde ich nicht in Ordnung. Dann kann man doch gleich ein Zwei-Parteien-Wahlsystem wie in den USA einführen. Da gibt es schwarz oder weiß und fertig.
Christian Herrgott: Ich saß damals im Landtag und empfand den Blumenwurf als stillos und der Situation nicht angemessen. Das war sicherlich eine impulsivere Reaktion von Frau Hennig-Wellsow. Aber ich glaube, dieser Blumenwurf hat auch ein Stück weit die parlamentarische Kultur beschädigt. Wenn wir beginnen, in Parlamenten uns nicht nur verbal und in Sachargumenten auszutauschen, sondern persönlich beleidigend sind und auch Symbole des Staates und der Exekutive herabwürdigen, dann hilft das vielleicht kurzfristig dem Beifall in der eigenen Community. aber es zerstört nachhaltig das Vertrauen in solche Institutionen. Aus meiner Sicht wollen die Menschen trotzdem ein bisschen Struktur, Form und Protokoll. Deswegen hielt ich den Blumenwurf damals nicht für angemessen und glaube, dass er keinen guten Beitrag geleistet hat zur weiteren Entwicklung der politischen Kultur in Thüringen.
Dörte R.: Was hätte er denn machen sollen? Hätte er sich umdrehen sollen? Hätte er die Blumen aufheben und zurückwerfen sollen? Ich denke, das war nur eine Reaktion. Die ganze Geschichte war ja haarsträubend. Vermutlich hat er das nicht so gesehen. Ich nehme an, er fühlte sich als der King in dem Moment, als er gewählt wurde und hat die Konsequenzen für sich erst später gesehen. Und eine Konsequenz ist meiner Meinung nach, dass er sehr unbeliebt ist und sicherlich nicht wieder in den Landtag kommt. Das hoffe ich jedenfalls.
Olaf M.: Ob das damals im Landtag die richtige Geste war, das weiß ich nicht. Ich habe vergessen, wie die Politikerin hieß. Für mich war sie irgendwann nur noch Die-mit-den-Blumen.
Yvonne Andrä: Susanne Hennig-Wellsow.
Olaf M.: Genau. Ich habe die unter Die-mit-den-Blumen abgespeichert. Ob das tatsächlich die richtige Reaktion war … Ich habe mich mit einigen Leuten darüber unterhalten, auch mit Anhängern verschiedener Richtungen, auch aus dem linken Spektrum. Die meinten: »Das hat sich in diesem Rahmen nicht gehört. Das beschädigt das ganze Amt noch mehr.« Ich war auch wütend, dass es so passiert ist an dem Tag. Na klar, wie sicherlich fast alle. Ob es in der Situation das Richtige war? Da habe ich zumindest ein Fragezeichen. Wie hätte ich mich verhalten? Ich wäre wahrscheinlich gar nicht vorgegangen. Aber ansonsten Blumen zu werfen, finde ich schon in Ordnung. Das verletzt niemanden.
Marco P.: Ah hier, der Mister President für einen Tag.
Ulrike M.: Meine erste Reaktion war: »Cool, dass sie sich das traut.« Aber es ist natürlich eine unkontrollierte Reaktion. Und ich finde es wichtig, wenn so was stattfindet, dass das nachbesprochen wird, dass es irgendwie etwas danach gibt, was das nochmal auffängt oder wozu sich alle verhalten können. Aber es ist natürlich auch eine sehr herabwürdigende Geste dem anderen gegenüber. Also, ich bin ambivalent, wie ich das finde. Einerseits eine Bewunderung, das aus diesem impulsiven Moment heraus getan zu haben. Weil ich auch geschockt war, wie das abgelaufen ist. Und wie er dann auch… aber, ja, ich weiß nicht.
Olaf M.: Das ist auch etwas, was mich wütend macht. Ich hatte mitbekommen, dass die Frau vom Kemmerich angespuckt worden ist. Die Polizei musste seine Kinder schützen. Wenn man sagt, man macht das wegen der AfD, man macht das gegen Faschisten, dann darf man selbst nicht mit faschistischen Methoden agieren. Das ist, was mich wütend macht. In Frankfurt wurde ein jüdischer FDP-Politiker bedroht und angespuckt und als Faschist bezeichnet, weil er in der FDP war. Da fehlen mir einfach die Worte. Wenn man mit Gewalt reagiert, wenn man mit faschistischen Methoden auf Faschismus reagiert. Das finde ich verkehrt.
Martin R. : Thomas Kemmerich will selber werfen? Der soll lieber Haare schneiden, der Kerl! Steigbügelhalter der Faschisten gehören ganze Blumenbeete ins Gesicht geworfen.
Yvonne Andrä: Muss man als Politiker, die Wut einem entgegenschlägt, aushalten?
Thomas Kemmerich: In keinster Weise. Ich halt das in keinster Weise für hinnehmbar. Auch Nuancen davon. Ich hatte Bilder mit einem Fadenkreuz auf meinem Konterfei im Briefkasten. Auch irgendwelche Briefumschläge mit Pulver drin, wo du erstmal nicht weißt, was ist das. Und da gibt es so Leute, die sagen: »Das müsst Ihr Politiker aushalten.« Nein, das muss kein Mensch aushalten, auch kein Politiker.
Dörte R.: Ich fand den Wurf super! Das war ja auch eine spontane Reaktion. Ich meine, die wird sich das ja nicht vorher überlegt haben. Das hat ja kein Mensch geahnt, dass so was passiert. Ich kriegte damals Anrufe aus anderen Bundesländern: »Was ist denn bei euch los?« Ja, totales Entsetzen hatte sich wegen der Wahl breit gemacht. Nicht wegen des Blumenwurfs. Nö, ich fand den in Ordnung. Schade um die Blumen, die waren sicher für was anderes vorgesehen. Aber in dem Moment fand ich das schon richtig. Ich denke, die war einfach wütend. Wütend über das, was da gelaufen ist. Und ja, ich denke, das entsetzt viele.
Peter: Ich weiß gar nicht, ob das Wut war. Eher Enttäuschung, nehme ich mal an. Also bei ihr jetzt.
Wieland D. : Das war so »Schäm Dich was!«
P: Naja, vielleicht auch Enttäuschung.
Yvonne Andrä: Wir haben gesagt, dass ist für uns auch so ein Grabesstrauß, also der Strauß der begrabenen Träume. Man kann vieles hineindeuten.
Frank: Soweit hat sie nicht gedacht, glaub ich. Nicht in dem Moment.
Wolfgang A.: Ich glaube, damals war es gut, dass jemand die Wut, die ich selber gespürt habe – ich weiß gar nicht, ob ich Wut gespürt habe, aber Fassungslosigkeit habe ich auf jeden Fall gespürt –, dass jemand das für mich kanalisiert. Ich konnte mich damit identifizieren, dass sie auch für mich diesen Blumenstrauß geworfen hat. Als Ausdruck, um zu sagen: Das war falsch. Total falsch, was hier abgelaufen ist.
Und dann haben wir angefangen, uns mit den Hintergrundgeschichten zu beschäftigen. Wir bekamen ein Gefühl dafür, wie damals jeder sein Ding dazu beigetragen hat. Wie es ja im Leben meistens ist. Der Kemmerich war auch selber ein bisschen hilflos. Und hat nicht darüber nachgedacht, was es bedeuten könnte, wenn er gewählt wird.
Heute würde ich den Blumenstrauß nicht mehr werfen wollen. Ich hätte eher geguckt: »Was können wir aus der Situation machen, wie gehen wir damit um?« Aber Wut entsteht ja aus einem Effekt heraus, als Reaktion auf etwas, oder? Und da fand ich das ziemlich okay, dass sie das so gemacht hat. Das sind ja reflektierende Ebenen. Also vielschichtig denkst du darüber nicht nach. Das ist ja eine Impulsreaktion auf irgendwas. Wenn du drüber nachdenkst, machst du das natürlich nicht. Ich glaube nicht, dass sie sich vorher überlegt hatte: »Wenn er Ministerpräsident wird, dann gehe ich vor und werde dann einen Blumenstrauß werfen.« Das ist rational, so denkst du nicht.
Anonym: Für mich ist das immer noch Protest. Dass der Kemmerich mit den Stimmen der AfD gewählt worden ist, ist ja nu klar. Obwohl die AfD eigentlich auch eine demokratische Partei ist. Ist ja nicht jeder schlecht, der die gewählt hat. Ich kenne selber welche, die sind AfD-Wähler. Das sind Freunde von mir, das sind ganz normal umgängliche Leute. Aber die haben halt eine andere politische Einstellung. Wenn das vielleicht anders kommen würde, wie das schon mal war, da würden die sofort umschwenken. Aber die machen das mehr wegen dem Protest, weil die mit der wirtschaftlichen Lage und mit dieser Regierung nicht einverstanden sind. Die Merkel-Regierung war auch nicht 100% in Ordnung. Aber die jetze kannst du ja wirklich in die Tonne kloppen. Die haben nur mit sich selber zu tun, die streiten untereinander und bewegen gar nichts. Ich habe selber eine Firma geleitet mit 83 Leuten hier in P.. Ich musste selber dafür sorgen, dass es den Leuten gut geht. Da hat mir keine Politik geholfen. Und seitdem die Politik sich in diesen Mindestlohn eingemischt hat, geht das mit Deutschland immer bergab, immer mehr.
Uta K.: Das war eine super Geste. Für mich war es ein wohldosierter Wutausbruch. Ich weiß ja nicht, an welcher Stelle sie sich das überlegt hat – auf dem Weg zu ihm oder was. Eine Ohrfeige wäre vielleicht das nächste gewesen, eine Stufe höher. Ich fand das genau die richtige Geste für die Situation, so, wie sie diese Wahl empfunden haben muss. Ich fand’s auch ein bisschen wie: »Männer dürfen den Fehdehandschuh hinwerfen.« Diese Geste kommt aus der Geschichte, das ist auch eine Redewendung. Auch wenn das keine Kriegserklärung war. Ich konnte das total gut verstehen.
Ulrike M.: So, wie Ihr das jetzt macht, hat das so etwas extrem Metaphorisches. Das hat so ein ganz deutliches Zeichen. Dieses Komprimierte, was in diesem Moment steckt, das finde ich total wichtig. Auch um zu zeigen, hier läuft wirklich ein Rad im Dreck. Aus diesem Grund fand ich es irgendwie gerechtfertigt. Ja.
Anonym: Ja, die Mutti hat von Afrika aus die Wahl annulliert.
Caro M.: Ich find es schon einen sehr starken Ausdruck. Sieht man ja auch eher selten. Ich würde jetzt gar nicht sagen können, ob ich das gut oder schlecht finde. Was ich gut finde, ist, dass, wenn man etwas für richtig empfindet, das auch klar zeigt. Das ist nicht falsch. Ich finde, in öffentlichen Positionen muss man immer bedenken, wie das ankommt. Aber es muss ja nicht unbedingt was Schlechtes sein. Das setzt ja auch ein Statement. Und ist vielleicht der Anfang von was Größerem. Aber eine richtige Meinung dazu habe ich nicht, weil ich glaube, dafür müsste ich mich in ihre Position hineinversetzen.
Thomas Kemmerich: Tatsächlich hat die AfD in diesem Moment mit den Mitteln der Demokratie – Kandidat stellen, natürlich auch anders entscheiden zu dürfen – die Demokratie verächtlich gemacht. Und ich sage gerne: Die eigentliche passende Reaktion wäre gewesen, tatsächlich die AfD zu blamen. Und dann zu sagen: »Okay, ist jetzt so. Jetzt gucken wir, was wir daraus machen.« Aber daraus folgten ja weitere Eskalationen, so nach dem Motto: Wenn die AfD sagt: »Heute scheint die Sonne«, darf keiner mehr »Ja« sagen. Das wird ja umso absurder, je weiter ich das denke. Besonnenes Handeln in dem Moment hätte wahrscheinlich allen gut getan. Mein besonnenes Handeln hätte heißen müssen: Ich nehm mir mal ne Auszeit. Wobei mir aber keiner so richtig sagen konnte, ob ich das überhaupt darf. Das ging in dieser Abfolge so schnell. Von der Präsidentin das Ergebnis, sieben Sekunden hatte ich Zeit »Ja« oder »Nein« zu sagen. Ich weiß bis heute nicht, ob ich überhaupt »Nein« hätte sagen können. Da hatte es ja überhaupt keine Zeit, wirklich die Besonnenheit mal an den Tag zu legen. So sehen das auch viele, dass der Demokratie ein großer Schaden zugefügt worden ist. Die, die das Porzellan zerdeppert haben, die sind eigentlich davongekommen.
Lis B.: Ich komme ursprünglich aus einer Kleinstadt in Oberbayern. Ich habe erst später mitgekommen, was für eine Reichweite das hatte. Und dass das auch nie wirklich so nachbesprochen wurde oder irgendwie eine Konsequenz hatte. Von diesem Blumenwurf habe ich erst nach und nach erfahren. Es war schon so eine Symbolik, die im Gespräch immer mal wieder irgendwo aufgetaucht ist.
Ulrike M.: Das ist in so einem Moment schwer zu kontrollieren. Die Wut nimmt den kürzesten Weg. Die Blumen der AfD hinzuwerfen, das hätte das Ganze total geschwächt. Dann wäre es verkopft gewesen. Dann hätte man den Kopf zwischendurch eingeschaltet. Und der ist bei der Wut ja ausgeschaltet. Dann wäre der Wurf nicht mehr das Gleiche gewesen.
Thomas: Dadurch, dass ich die Frau Hennig-Wellsow nicht kenne, kann ich schlecht einschätzen, ob ihr das was gebracht hat. In dem Moment hat’s was, natürlich. Sie hat eine gewisse Wut gespürt, definitiv ja. Aber das Grundproblem, weshalb sie so wütend war, ich weiß nicht, ob das gelöst worden ist.
Yvonne Andrä: Ist Ihnen in dem Moment eigentlich deutlich geworden, dass das so etwas sehr Besonderes ist und ein ikonisches Bild wird?
Christian Herrgott: Ja, das war sicherlich von Frau Hennig-Wellsow in den wenigen Minuten ein klar kalkuliertes Element, um es am nächsten Tag in der eigenen Community im linken Bereich, und auf die Titelseiten zu schaffen. Das war eine Sache, die so noch nicht stattgefunden hatte und die in der Form ein absolutes Missfallen und eine deutliche Respektlosigkeit gegenüber dem gewählten Ministerpräsidenten – egal, wie diese Wahl zustande gekommen ist – ausgedrückt hat. Ich glaube, das hat nachhaltigen Schaden hinterlassen. Wenn ich das aus meinem Umfeld so sehe und die Reaktionen damals bekommen habe, ist mir sehr, sehr breite Ablehnung für diese Handlung widergespiegelt worden. Und ich glaube, Frau Hennig-Wellsow hat sich auch jenseits des eigenen Wählerklientels in der breiten bürgerlichen Mitte kein Gefallen getan mit dieser Maßnahme.
Yvonne Andrä: Was hätte Sie denn mit dem Blumenstrauß machen sollen?
Christian Herrgott: Sie hätte ihn nicht übergeben müssen. Es ist ja keine Pflicht. Man muss einem Amtsinhaber nicht gratulieren. Man muss niemanden die Hand geben. Ich halte das anders. Ich spreche mit Menschen und ich halte auch die Formen ein. Aber ich muss niemanden um den Hals fallen, den ich nicht leiden kann. Ich muss auch niemanden gratulieren, wenn ich die Gratulation nicht ernst meine. Aber ich werfe auch niemanden irgendwas vor die Füße.
Thomas Kemmerich: Ich kann nicht in ihren Kopf gucken. Es wirklich aus Berechnung gemacht zu haben, würde ja bedeuten, dass sie deutlich mehr als ich mit diesem Ergebnis gerechnet hätte. Ich glaube, es war schon irgendwie Verzweiflung. Desillusionierung. Der Blumenstrauß war ja nicht für mich gedacht. Der war für jemanden anders bestimmt. Hat sie vielleicht gedacht: »Den Strauß habe ich für jemanden anders gekauft.« Und dann kriegt der den nicht, der ihn jetzt aus Anstand zu kriegen hat, weil er nun mal demokratisch in dem Moment gewählt war. Hat sie ja keiner aufgefordert, überhaupt zu mir zu kommen. Ich weiß nur, dass viele Leute genau das als nicht angemessen empfunden haben. In ihrer politischen Umgebung wird sie natürlich dafür gefeiert oder wurde sie dafür gefeiert. Aber der, ich sag mal, weniger politische Teil der Bevölkerung, der sagt: »Blumen gehören in die Vase und nicht auf den Boden. Und wenn du nicht gratulieren willst, dann lass es halt.«
Yvonne Andrä: Du kehrst den Blumenwurf ja jetzt um, indem Du den auf den Wahlplakaten nutzt und mit dem Spruch versiehst: »Zurückgetreten, um Anlauf zu nehmen.«
Thomas Kemmerich: Ich will den Leuten sagen: »Ich habe Euch verstanden mit Eurem Frust auf diesen Moment, auf diesen Blumenstrauß, auf die Respektlosigkeit vor der Demokratie.« Und ich will einfach nur als Symbol sagen: Ich weiche nicht vor denjenigen, die die Demokratie verächtlich machen wollen. Viele haben zu mir gesagt: »Warum tust du dir das noch an?« oder »Treten Sie zurück?« Aber ich habe immer gesagt: »Die Mission ist nicht vorbei.« Ich bin der, der es erlebt hat. Und ich kann am besten erklären, was passiert ist. Sonst würden ja alle nur noch über mich und den Tag reden. So habe ich die eine oder andere Gelegenheit – so wie heute hier – selber darüber zu reden.
Anonym: Wir hatten unsere Hoffnungen in die Linke gesetzt. Aber der Ramelow hat sich so lange wählen lassen, bis der seine Pension sicher hat.
Elsa: Es ist eigentlich schön, dass das jetzt nochmal wie eine Erweiterung erfährt. Ich glaube, das tut der Geste gut. So würde ich es vielleicht sagen.
Thomas Kemmerich: Der Wurf ist dann irgendwann zum Symbol geworden. Aber es stört mich auch nicht. Ich sehe das immer wieder. Immer, wenn ein Bericht über den 5. Februar kommt, dann fliegt der Blumenstrauß wieder auf den Boden. Aber es hebt mich nicht an. Das gehört halt zu dem Tag dazu.
Anmerkung: Für die Kategorie »Der historische Blumenwurf« haben wir Susanne Hennig-Wellsow für ein Gespräch angefragt. Zugesagt wurde ein Hintergrundgespräch, aus welchem wir aber nicht hätten zitieren dürfen. Der fest verabredete Termin am Tag nach der Europawahl wurde dann aber kurzfristig abgesagt. Ein neuer wurde nicht in Aussicht gestellt. Wir bedauern sehr, dass wir deshalb den Blick von Susanne Hennig-Wellsow hier nicht mit aufnehmen konnten.