Werner: Ich gehe schon mit meiner Wut um. Also, ich schmeiß nicht mit Steinen. Wie geh ich mit meiner Wut schon um? Deswegen tue ich nicht rumsauen oder irgendwas. Aber es funktioniert doch vieles nicht mehr.


A.: Wenn Wut entsteht, sollte man sich Zeit nehmen, dass die Wut weggeht und dann sich in Ruhe äußern. Die Äußerungen, warum man wütend ist, werden selten ausgesprochen oder zum Ausdruck gebracht, weil man vor den Konsequenzen Angst hat.


Michael: Ich mach’s auch viel mit mir selber aus, wenn ich sonntags in der Kirche bin. Und biste auf irgendjemanden böse ist, egal was die Woche passiert ist.

Lissy: Auf mich zum Beispiel. Ja, haha (lacht) Sags doch!

Michael: Ja, aber dann denke ich auch mal über mich nach: »Was hab ich denn für eine Scheiße gebaut, die Woche?« Also nicht immer nur auf andere zanken, sondern auch mal selber an sich denken. Was hat man verkehrt gemacht die Woche? Was hat man gut gemacht die Woche?

Lissy: Wollt grad sagen, musst aber auch die positive Seite sehn, nicht nur negativ.


Kathrin: Zuerst merke ich die Wut im Bauch. Ganz stark. Das zieht hier so. Dann verfalle ich ein bisschen in eine Starre. Ich glaube, ich sitze dann einfach so vor mich hin und starre vor mich hin und lasse laufen, was da ist und guck mir das an. Ich bin da sehr pragmatisch. Ich versuche relativ schnell zu erfragen: »Woher kommt die Wut? Was ist das Bedürfnis, was ich habe?« Das hat ja was mit mir zu tun. Nicht nur mit den äußeren Umständen. Sondern wie ich das verarbeite, was da im Außen ist. »Was habe ich für Bedürfnisse? Wie kann ich die Bedürfnisse befriedigen? Was kann ich ändern?« Und dann bin ich ganz schnell im Handeln. Also ich versuche dann ganz schnell was zu machen, was die äußere Situation verändert. Und dann bin ich nicht mehr wütend.


Karin: Richtige Wutgefühle sind uns relativ fremd. Also man ärgert sich mal, auch längere Zeit. Aber wie gesagt, dann wenden wir Strategien an. Warten. Lohnt sich’s noch. Da kommt man eigentlich gut mit klar. Und wenn man den Leuten freundlich begegnet, du musst nur mit dem Fahrrad fahren, die Leute anlächeln. Es gibt immer eine Rückkoppelung. Es ist immer nett. Oder eine Verkäuferin anzusprechen. Wann ist denn ihr Tag beendet? Wie geht es ihnen heute? Immer solche kleinen Gespräche. Das ist unheimlich befriedend.


Annett: Ich empfinde eigentlich permanent Wut. Aber ich finde diese Permanenz der Wut mittlerweile auch sehr anstrengend. Nicht nur bei mir, sondern insgesamt. Ich empfinde die Atmosphäre als sehr aufgeheizt, als sehr schädlich für ein gesellschaftliches Miteinander. Und deswegen bin ich mir nicht sicher, ob ich dieser insgesamten Wutstimmung noch meine persönliche Wut dazugeben möchte.


Markus: Man kann nicht die Wut eines anderen spielen. Das geht gar nicht. Kein Schauspieler verwandelt sich in einen anderen Menschen. Du kannst nur die Facetten, die in der anderen Figur sind, versuchen, zu Entsprechungen in dir selbst zu stellen: Wann werde ich neidisch? Wann bin ich eifersüchtig? Wann bin ich geil? Wann bin ich lustig? Wann bin ich hysterisch? Und dann versuchen, so reinzugehen, dass es auch was mit dem Körper macht. Und trotzdem den Kopf nicht abschalten. Wenn man abschaltet, wird es gefährlich. Ich habe schon Kollegen erlebt, die mich auf der Bühne grün und blau geschlagen haben. Die sind völlig ausgerastet. Selten, aber hab‘ ich schon erlebt. Das würde mir nicht passieren. Da bin ich zu deutsch.

Yvonne: Bist du hinterher über diese Kollegen wütend?

Markus: Ja, da bin ich stinkend sauer. Wegen der mangelnden Professionalität des Kollegen. Nur bringt das nix. Weil der Kollege sagt: »Tut mir leid, ich war so in meiner Figur.« Aber es bringt überhaupt nichts, dem zu sagen: »Das ist falsch, das ist unprofessionell.« Man kann nur weggehen. Ich glaub nicht, dass man Menschen besonders gut erziehen kann.


Anonym: Nee, ich mach nichts kaputt. Ich werd eher wütend auf mich selber. Und werd destruktiv oder so, aber… Wenn ich was kaputt mache, dann … ich knabber halt und so. Oder bin dann unzufrieden mit mir selber, wenn ich wütend bin. Aber so Sachen zerstören auf jeden Fall nicht. Nee, hab ich kein Bedürfnis danach. Nicht nutzlos.


Anonym: Wenn man dann immer sieht, wie auf der anderen Seite das Geld verschwendet wird. Und ich muss unheimlich dafür arbeiten. Das macht mich wütend. Das ist so etwas von ungerecht! Ja, manchmal kann ich es nicht mehr hören. Dann kümmere ich mich um etwas anderes und gehe in den Garten, um mich erstmal abzureagieren. Dann geht es mir wieder besser. Ja, man muss sich solche Sachen suchen, damit man das überhaupt aushält. Man muss bis 67 arbeiten, da habe ich noch 14 Jahre vor mir. Und die werden noch hart. Die werden hart. Sehr hart. Ja.


Sabine: Wenn ich den Begriff Wut verwende, ist das auch oft mit Ärgern, mit Enttäuschung verbunden. Enttäuschung heißt ja, dass ich mir etwas anderes vorgestellt habe oder gewünscht hätte. Also, dass Menschen anders reagieren oder sich auch die Zeit nehmen, das eine oder andere zu überdenken, was sie da in die Welt posaunen. Natürlich macht mich bewusste Fehlinformation richtig wütend. Aber mich macht das wütend, weil Menschen sich darauf verlassen. Das ist auf einer politischen Ebene viel stärker angesiedelt als auf einer privaten Ebene. Da wäre es Vertrauensverlust. Das wäre nochmal ein anderes Wort, das ich ins Spiel bringen würde.

Stefan: Wie gehst du damit um, wenn du merkst, jemand hat so ein Mini-Weltbild und bezieht sich dabei auf Desinformation. Versuchst du, da mit Argumenten gegenzuhalten?

Sabine: Ich würde gar nicht mal sagen, mit Argumenten dagegenzuhalten. Aber mit Argumenten weitere Türen zu öffnen. Ich möchte, dass Menschen sich schon ihr eigenes Bild machen. Aber nicht so eng beschränkt. Das funktioniert für mich nicht. Meine Argumente wären sehr viel eher, dass ich sage: »Guckt und öffnet mal andere Türen und schaut mal das an und das an und das an.« Das wäre mir wichtig.


Anonym: Wütend – nee! Ich bin immer noch von gestern, ich bin immer noch Marxist und ich stelle das System grundsätzlich in Frage. Ich will hier nicht über solche Allgemeinplätze reden und so. Ja, ich bin hier, ich bin dieser wütende Mensch. Aber ich möchte mich mit jemandem unterhalten: »Wie kommen wir aus der Scheiße raus?« Und nicht bloß erzählen, wie schlecht das ist und wie toll das war. Sicher kann ich da Beifall klatschen. Aber das hilft ja nichts. Wenn diese Kinder jetzt abgerichtet werden im System, was sollen die denn dann wissen? Ich komme mit keinem in so ein Gespräch. Und da kenne ich noch nicht mal, was im Internet läuft. Mein Schwiegersohn ist ja auch so ein Wütender. Und ich höre ja, wenn ein anderer bloß so ein Verschwörungs-Theoretiker ist. Mit dem kann ich mich nicht unterhalten. Der sagt: »Ich sag auch nur meine Meinung.« Ich sag dann: »Das ist Meinung gegen Wissen.« Dieses Geschwätz von Meinungsfreiheit, von der Kunstfreiheit, das ist Teil der Herrschenden.


Lucie: Im Moment regt mich zum Beispiel tierisch auf, dass alle sehr mies drauf sind und schlechte Laune verbreiten. Kann man ja auch verstehen. Aber das macht die Situation ja nicht besser. Wenn man nur wütend und schlecht gelaunt durchs Land läuft und alles schlechtmacht und in Jedem und überall nur das Schlechte sucht, kommt ja nichts bei rum, nichts Produktives. Ich mache es nicht besser, wenn ich mich nur aufrege.


Dörte: Natürlich hilft das meinem Gegenüber, auf den ich wütend bin, wenn der merkt: »Oh Backe irgendwas läuft schief. Vielleicht habe ich auch was falsch gemacht.« Das hoffe ich doch. Ich kriege dann natürlich eine Reaktion. Und die will ich auch haben. Wenn da jemand so gelassen wäre, so »Mach doch, was du willst«, dann wäre die ganze Geschichte ja total witzlos.

Yvonne: Und wie reagierst Du, wenn Dir Wut entgegenschlägt?

Dörte: Erst mal wahrscheinlich abwehrend, ja. Ich fühl mich erst mal ungerecht behandelt. Das ist so die erste Reaktion. Und dann kommt vielleicht das Überlegen. »Ja, vielleicht hat mein Gegenüber ja irgendwie auch recht.« Oder: »Ja, vielleicht habe ich was falsch gemacht.« Aber das ist immer eine zweite Reaktion. Erst mal bin ich, (abfälliges Schnalzen) na, fühle ich mich ungerecht angegriffen. Ja.



E.: Bei mir ist Wut gut im Pizzateig aufgehoben. Den kann man kneten und werfen. Der wird viel besser, wenn man ihn knetet. Ja, das wäre schon mal eine ganz banale ganz einfache Möglichkeit, mit Wut umzugehen. Pizzateig kneten. Danach geht es besser.

Lis: Dann überträgst du die Wut ja quasi von deinem Körper in dem Körper des Pizzateigs.

E: Genau, genau. Oder in der Bewegung. Es hilft auch irgendwie zu rennen oder so, also das rauszulassen.

Stefan: Mit dem Pizzateig profitieren alle von deiner Wut.

E: Ja, alle. Das ist ein Umdenken von der Wut, genau.

Yvonne: Du E., hast du heute Wut, wir würden gern mal vorbeikommen…

E.: Ich ärger dich ein bisschen, ich habe Hunger auf Pizza. (lacht)

Stefan: Das musst du dann aber auch an den Anfang des Rezepts schreiben.


Stephanie: Ich bin nicht in einer Position, wo ich irgendwie wütend durch die Welt hetze. Ich versuche, dass man sowas bespricht. Aber manches macht mich natürlich auch wütend, klar. Es gibt ja Sachen, die ich nicht verändern kann. Und das macht mich schon wütend. Weil man so hilflos ist.



E: Ich bin jetzt 46. Wenn ich wütend werde, habe ich das Gefühl, dass ich wieder drei Jahre bin. Ich denke, dass ich so ausgeliefert bin in diesen Situationen, so hilflos, und würde dann am liebsten so aufstampfen und weinen und so schreien. Was total nutzlos ist. Es macht mich wütend, dass sich das nicht ändert. Dabei müsste ich einen reiferen Umgang damit finden oder aus all den Malen, in denen man schon wütend war, lernen. Dass das irgendwie effektive ginge.


Kay: Ich weiß nicht, wütend werde ich nicht. Ich fühle mich eher hilflos und ratlos. Ich weiß nicht, was ich ändern soll. Ich müsste wahrscheinlich mit vielen tausend Anderen sein, die ähnlich sind. Ich bin ja nicht alleine mit meiner Meinung, mit meinem Gefühl. Aber man findet sich heute nicht mehr zusammen, um zu sagen: »So wollen wir das nicht mehr.« Man wird nicht gehört. Man ist zwar unzufrieden, aber es wird gerade so weiter gemacht. Es wird einfach die Agenda durchgezogen.


Annett: Naja, es hat zumindest insofern geholfen, wenn man merkt, dass andere das ähnlich sehen oder damit auch hadern. Das ist dann aber eher so ein, wie soll ich sagen, so ein Selbsthilfegruppenphänomen. Also für den Moment, wenn es so eruptiv ist.


Friederike: Wir sind Deutsche und die Deutschen sind per se etwas emotions-, wie soll ich sagen, gebremst. Geh mal nach Italien, geh mal ein paar Kilometer weiter. Die leben organischer mit ihren Emotionen. Ich empfinde dort nie Aggressionen. Die Leute leben einfach mehr im Flow, sag ich mir. Bei uns ist alles total Gefühlsstau. Wir sind eine Nation voller Gefühlsstau und alten Emotionen, die sind alle nicht aufgearbeitet. Das sind jahrzehnte- oder jahrhundertalte Emotionen. Die sitzen in uns allen fest. Das sind gar nicht unsere eigenen Gefühle, die in uns feststecken. Also, ich sehe das eher schamanisch und generationenübergreifend und so weiter. Und das ist wichtig. Wir sind eine Kultur, die ist total frozen, eingefroren und nicht richtig im Flow. Also die Deutschen sind nicht im Flow, das ist nun mal so. Die sind bekloppt. Also ich finde, wir sind eine bekloppte Nation.


Sarah: Wut ist kein schönes Gefühl. Ich weiß es gar nicht genau. Ich glaube, ich find… Ich wollte einfach nicht gern wütend sein. Vielleicht hatte ich ein bisschen Angst, dass es nicht mehr weggeht, dass ich dann so wütend und verbittert werde, wenn ich Wut zulasse. Aber eigentlich ist es ja gut, das einmal durchfließen zu lassen, damit es dann wieder rausgeht und verschwindet. Gerade, wenn ich Dinge nicht angehe oder aktiv dagegen vorgehe und es eigentlich könnte und es aber nicht tue, dann setzen sich Dinge fest. Dann kann sich auch die Wut festsetzen.


Dietrich: Die Wut war so groß, dass ich mein Leben so gestaltet habe, wie ich es jetzt mache. Das ist, ich weiß nicht, ob das nur Wut ist, aber eine Handlungsfolge sich daraus ergibt. Sehr produktiv, weil ich mein ganzes Leben umgekrempelt habe. Nicht mehr ganz in einem Amt reine acht Stunden arbeiten. Mein eigenes Ding machen. Ich habe nur das eine Leben. Die Wut war so groß, dass ich gesagt habe, ich renne nicht mehr ins Amt, ich mache jetzt meine eigenen Sachen. Ich lebe, mir geht es besser, ich habe viel mehr Zeit für mich. Das ist ja eine Wut, das ist meine Wut. Nur Wut macht ja irgendwie Magengeschwür. Das ist nicht gut. Und das ist die Konsequenz, das ist meine Wut. Und was wir Wut nennen, vielleicht kann man es auch Ohnmacht nennen.


Julia: Ich glaube, es hilft schon, wenn Menschen sich begegnen, nicht nur über die Tomaten oder das Bier unterhalten, sondern wenn das normaler wird, dass man auch über seine Gefühle spricht, über alle möglichen Gefühle. Unter anderem eben auch über die Wut.


Ulrike: Wir haben den Generationen unserer Eltern und Großeltern Generationen voraus, dass wir gelernt haben, über diese Zustände zu sprechen. Das empfinde ich schon als großen Fortschritt. Das darf gern noch weitergehen und sich in allen Bevölkerungsschichten fortsetzen. Es sind immer noch nicht genug Leute, die gelernt haben, darüber zu reden. In der Kindheit sind wichtige Stellschrauben, die später dafür verantwortlich sind, so oder so mit negativen Gefühlen umzugehen.


Thomas: Über seine Emotionen zu reden hilft, ja, definitiv. Wenn ich so einen Anfall von Wut hatte, weiß ich im Nachgang auch immer: »Na, das war jetzt sehr kontraproduktiv.« Dadurch habe ich mein Ziel, dass das Kind wieder ruhiger wird, nicht erreicht. Dadurch habe ich es gerade noch verschlimmert, ja, das weiß ich auch. Dessen bin ich mir vollkommen bewusst. Aber in dem Moment kann ich halt nicht anders. Wenn ich emotional sehr geladen bin, kann ich das nicht mehr sachlich beurteilen.


Uta: Das muss raus eigentlich. Sonst spricht man von unterdrückter Wut. Die ist genauso negativ belegt, glaube ich. Aber es ist ein Gefühl. Und Gefühle kommen über uns. Und dann muss man überlegen, wie man… Also wenn man kann in dem Moment überhaupt überlegen, weil es ist ja… Man redet ja auch von blinder Wut. Muss man überlegen, was man mit der Wut macht. Auf den Tisch hauen ist so eine Möglichkeit, was manchmal auch sinnvoll ist in einer verfahrenen Situation, wo man dann plötzlich nicht mehr weiter weiß: Jetzt ist aber auch mal Schluss! Das ist ja auch ein Statement. Also ich halte Wut auch für ein Gefühl, was zuzulassen ist. Also ich habe überlegt, niemand will so richtig sagen: Ich bin wütend. Wutbürger ist ja völlig… Braucht man ja gar nicht zu drüber reden, wie das belegt ist. Es will ja keiner sein. Aber es gibt ja dieses… Wutbürger beschreibt, glaube ich, was anderes. Aber ja, man wird manchmal wütend. Auch wenn das vielleicht jetzt nicht gesellschaftlich die schickste Reaktion ist.


Markus: Ich glaube, ich hatte damals mehr Wut. Konnte sie aber nicht ausdrücken. Durch Meditation – ich habe dynamische Meditationen gemacht – habe ich gelernt, diese Wut auszudrücken. Auch exzessiv, auch radikal. Dann war sie erst mal weg. Damit war die Wut befriedet, sie wurde zu einer abstrakten Wut. Sie auch nicht an irgendwelche Inhalte gekoppelt, sondern war Wut an sich, die ja jeder in sich hat.

Stefan: Wie macht man so eine Mediation? Ist das etwas Körperliches, führt man eine Folge von Bewegungen aus?

Markus: Das sind Scientifically-Designed-Meditationen. Du wirst durch verschiedene Stadien geführt. Es geht auch darum, dass du als westlicher Mensch eben sehr im Hier bist, im Mind. Und die östliche Philosophie geht davon aus, dass man Dinge nicht dadurch erkennt, indem man die Rose zerpflückt und einzeln analysiert, sondern die Rose in ihrer Schönheit akzeptiert. Und dass man auch sich selbst in seiner Ganzheit akzeptiert und nicht bewertet. Durch diese Meditation kommst du dazu … Ich könnte jetzt aus dem Stand einen Tobsuchtsanfall haben. Oder einen Weinkrampf. Oder einen Lachanfall. Das wäre für mich kein Problem. Einfach, weil ich jetzt weiß, wie mein Körper das macht. Danach würde es mir besser gehen. Ich habe Meditationen gemacht, wo ich drei Stunden am Tag gelacht habe, drei Stunden am Tag gewütet habe, drei Stunden am Tag verrückt gespielt habe. Dazu kommt dieses Silent-Sitting, dieses klassische Zen, dieses Sich-beobachten. Das gehört immer dazu: sich nach dieser Ektase hinzusetzen und anzugucken, was da gerade passiert ist. Und sich nicht zu identifizieren mit seinen Gefühlen. Das ist eigentlich der wichtigste Punkt. Dass man weder seine Gedanken noch sein Gefühl ist.

Stefan: Das Fühlen war ohne Inhalt?

Markus: Ja. Der Inhalt wurde simuliert. Es gibt eine sogenannte Aum-Meditation. Die fängt abends an, so halb zehn und geht es bis zwei Uhr morgens. Da gibt es Sequenzen, in denen schreist du dich gegenseitig an. Du stellst dich gegenüber und dann geht es los, »Du alte Fotze«, also so was. So heftig, wie du kannst. Ich habe das in Indien gemacht, mit Arabern, Indern, Israelis. Die haben mich in ihrer Heimatsprache beschimpft und ich habe zurückgeschimpft. Man soll die schlimmsten Wörter nehmen. Die kommen dann auch. Auch aus der Kindheit. Was da alles so hochkommt, das ist der Hammer. Was man alles so in sich hat und was im Alltag völlig verschwindet, weil man das ja nicht macht, weil man das moralisch bewertet. Das war unfassbar! Die Wut stellt sich völlig aus. Die wird nicht personalisiert. Es ist völlig egal, wer dir gegenübersteht. Und dann merkt man, dass die Wut mit dem Gegenüber gar nichts zu tun hat. Dass man da reinprojiziert.

Die nächste Sequenz ist dann: Ich liebe dich. Dann musst du plötzlich so ehrlich wie du es kannst, jemandem, den du vorher noch nie gesehen hast, sagen: Ich liebe dich. Musst du dir irgendwas suchen, was du vielleicht schön findest an dem oder an der. »A little acting helps«, hat immer der Therapeut gesagt. (lacht) Irgendwann kannst du nicht mehr unterscheiden, ob das authentisch ist oder gespielt. Das fiel mir natürlich relativ leicht, weil als Schauspieler ist das sowieso mein täglich Brot. Als Schauspieler kannst du irgendwann auch nicht mehr unterscheiden: Bin ich das jetzt oder spiele ich gerade eine Rolle? Ich würde behaupten: Jeder spielt ständig Rollen, aber ist sich dessen nur nicht bewusst. Deswegen finde ich diesen Vorwurf, »Du bist jetzt gerade nicht du selbst«, immer so albern. Man ist alles Mögliche.


Stephanie: Wenn Kinder mal schreien, weil sie Wut haben, ist das okay. Kinder dürfen das. Man muss ein bisschen aufpassen, dass das nicht die eigene Handlungsmaxime wird. Aber alles zu unterdrücken, finde ich Quatsch. Bei Erwachsenen erwarte ich schon ein bisschen Reflexion.


Alfred: Warum darf man auch als reflektierter Mensch durch Wut nicht ab und zu auch mal ein bisschen menschlicher und nahbarer erscheinen?


Yvonne: Wenn Ihr Wut habt, wie äußert sich das bei Euch? Nur, indem Ihr schimpft? Werdet Ihr tätig oder zerschlagt Ihr was?

Dorothee: Nein, nein, nein.

Thomas: Das können wir uns gar nicht leisten.

Dorothee: Nein, das würde mir dann wieder leidtun. Das ist ja etwas, was man sich geschaffen hat. Das zerschlägt man nicht aus Wut. Nein, ich bin ja schon traurig, wenn mir mal so aus Versehen was runterfällt oder irgendwas kaputtgeht. Nein, um Gottes Willen. Nein, das äußert sich so nicht. Aber das nagt an einem. Das ist ja das Schlimme. Man lässt viel zu wenig raus, man redet viel zu wenig drüber.


Annett: Also ich muss ehrlich sagen, ich habe ein Problem damit, Dinge stehen zu lassen, die ich selber für ganz furchtbar halte. Also Leuten zuzugestehen, dass das ihre Meinung ist, gerade wenn es in verschwörungsideologische Gefilde geht und so weiter. Also ich muss da echt manchmal sehr schlucken und ich bewundere, dass man als Moderator oder Moderatorin im Radio so was neutral sachlich moderieren kann. Das könnte ich nicht, das wäre das auch kein Job für mich. Aber ich finde, dass es trotz allem notwendig ist, ein gutes Gespräch zu führen. Es gibt diese Sendung, wo Hörer anrufen, die halte ich immer sehr schlecht aus. Aber ich finde es immer interessant, weil man kann ja auch lernen, man kann ja sich auch angucken, wie gehen andere damit um, wenn wirklich dann so Dinge gesagt werden, wo ich am liebsten sofort, ja, oder dagegen und so. Und ich glaube, das muss man schon auch aushalten, dass es so was gibt. Aber wie ist dann der Umgang, damit in den Medien beispielsweise? Also wenn ich es geil finde, dass die Leute sich richtig an die Gurgel gehen, dann habe ich am Ende keinen wirklichen Austausch.


Ulrike: Es ist vieles möglich und man sollte sich immer wieder auf das besinnen, was da ist, was man hat und welche Möglichkeiten bestehen. Da sind wir in einem Überfluss. Diese Wut »Es ist es alles schlecht!« »Das ist alles Scheiße!«, dass die meisten Leute kein Bewusstsein für ihren eigenen Wohlstand haben, auch wenn sie vermeintlich nichts haben. Und dass diese Referenzpunkte einfach mal neu gesetzt werden sollten, gesellschaftlich damit irgendwie diese scheinbare Mangelbewusstsein hinterfragt wird.



Janek: Man kann auch entschiedener Grüner sein oder entschiedener irgendwas sein. Man muss nur anerkennen, dass nur, weil ich das vertrete und das meine Meinung ist, ist es nicht sozusagen das Ideal von Politik, sondern Demokratie findet hier nach meiner Meinung statt. Also das findet erst danach statt, wenn alle anderen Meinungen auch gehört worden sind. Und das als Konsument im modernen Kapitalismus ist dir das aber nicht mehr… Da stellst du dich nicht hinten an, du stehst immer ganz vorne, du bist immer derjenige, um den es geht. Und das ist immer so, das ist die Erfahrung: Es soll jetzt mal um mich gehen! Alle Ratgeberbücher da in dieser Buchhandlung handeln davon, es soll jetzt mal um dich gehen. Heute geht es um dich. Nimm dir einen freien Tag. Heute bist nur du wichtig. Das ist ja sozusagen diese konsumistische Vereinzelung, die dich quasi zum König von allem macht. Macht natürlich auch in so einem übertragenen Sinne dich auch zum Meinungskönig. Also das, was du denkst, ist das, was richtig ist. Und die Demokratie hilft dabei, dir ein bisschen von diesem hohen Ross herunter zu helfen, in dem nämlich auch beachtet wird, dass die ganzen Könige und Königinnen, die neben dir sind, auch dann ne Rolle spielen. Das ist ein Hilfsmittel, die Demokratie. Das ist ein Hilfsmittel, um bei der Überwindung deiner eigenen Egozentrik zu helfen, die du aber eigentlich haben musst.


Matthias: Also mich kennt keener, wenn ich wütend bin. Ich mache höchstens noch een Quatsch. Aber wer mich reizt, der merkt das dann schon.

Stefan: Was muss denn da passieren?

Matthias: Da muss viel passieren. Ehe ich aus der Haut fahre. Aber wenn ich aus der Haut fahre, dann ist es zu spät. …

Yvonne: Wenn Sie wütend sind, wie äußert sich das dann?

Matthias: Da werd ich erstmal laut, dann knallts. (lacht)

Yvonne: Sind Sie schon mal richtig ausgeflippt?

Matthias T.: Och nö. Ausgeflippt nicht. Ich kann mich noch beherrschen. Ich zähle dann bis 1, 2, 3. (lacht) Rückwärts.


Thomas: Ich bin tatsächlich auch gelassen, weil in den frühen Jahren, in denen man Lehrmeister hat oder Bücher liest oder Videos schaut, da gab es einen amerikanischen Motivations-Guru, der sagte: »Count till 10 and then send«, und dann reg dich auf. Und dieses Bis-zehn-zählen, dieses Mal-durchatmen habe ich mir angewöhnt. Du hast ja als Unternehmer, gerade wenn du jung anfängst, unheimlich viele Situationen, in denen du erstens unter Druck stehst und die zweitens neu für dich sind. Das Wichtigste ist, nicht spontan aus einer Wut, aus dem Reflex heraus zu handeln, sondern darüber nachzudenken und dann zu handeln. Das gilt für Dinge, die einen aufregen, genauso wie für alle Dinge, die neu sind und unerwartet kommen. Das ist einfach die Frage, ob man in sich tatsächlich ruht und dann eine Entscheidung trifft oder eine Handlung aus Wut oder Hektik vollzieht. Das ist nie ein guter Begleiter für Entscheidungen.


Anonym: Wenn mich irgendwas aufgeregt hat und ich mich hilflos gefühlt habe, dann habe ich immer einer Person geschrieben. Aber der Person schreibe ich jetzt nicht mehr. Jetzt nehme ich Matilda Sprachnachrichten auf oder rufe halt Matilda an. Meistens Matilda, ja. Wenn man das mit jemanden teilen kann, wenn du das so aufnimmst, dann ist es eigentlich besser meistens, die Wut so. Wenn die Andere Verständnis dafür hat und das so versteht.


Marco: Ich lass meine Wut raus und mach ein freies Leben. Ich nehm das mit als Zeitdokument und klebs ins Fotoalbum.


Frank: Manchmal ist es schon so. Man ist wütend. Aber das bringt einen ja nichts. Sagen wir mal so. Das Wütendsein, also das ist nur … weiß ich nicht.

Wieland D.: Aber In-sich-nei-Fressen bringt auch nichts. Man muss das rausbringen. Und Wege finden, wie es besser geht.

Frank: Wie willst du das aber den Leuten erklären, die es nicht verstehen wollen? Da kannst du dir das sparen, dir den Stress zu machen, dass …

Wieland: Na, der Blumenwurf.

Frank: (lacht) Der Blumenwurf. Also, ich schmeiß dann das nächste Mal Blumen, ja ja. Du Trollo du, (lacht)

Wieland: Zum Beispiel.

Frank: Ja, bloß auf Arbeit ist es schwierig mit den Blumen. Da müsste ich jedes Mal ein paar Blumen mitnehmen. Da ist nur Wiese rundherum. Wenn der Kollege irgendwie ein bisschen komisch war, kannst du ja … Oder du nimmst so ein Ding (zeigt auf den künstlichen Blumenstrauß), das ist ja nicht echt hier. So was verwelkt halt nicht. Das kannst du zur Not mal in den Rucksack einpacken. (lacht)

Yvonne: Das heißt, man müsste eigentlich dem Anlass entsprechend immer irgendwas werfen.

Peter: Man muss gar nichts werfen.

Frank: Wenn man sich den Finger klemmt auf Arbeit, was wirft man dann? Da hab ich einen richtigen Bläker losgelassen.

Peter: Da ist man wütend auf sich selber.

Yvonne: Da wirft man sich hinterher.

Frank: Da hat man ein Bläker losgelassen. Dass der Schmerz erst mal nachlässt, verstehste.


Kathrin: Mir fehlt es gerade mal ein bisschen an Wut. Ich bin der Mensch, der eigentlich vieles nach innen nimmt und dann eher traurig oder betroffen ist. Manchmal würde mir Wut sogar guttun, um es einfach raus nach außen zu lassen. Aber ich nehme vieles einfach persönlich. Es betrifft mich, es macht mich oft sehr, sehr traurig. Aber Wut ist, denke ich, ein gutes Mittel eigentlich.


Udo: Ich bin eher nicht so konfliktbereit, sag ich mal. Manchmal wäre es vielleicht besser. Dann kann man mal aus sich herausgehen und richtig die Fetzen fliegen lassen und danach geht es wieder. Gewissermaßen ein reinigendes Gewitter. Ich bin persönlich eher verschlossen gewesen und bin den Konflikten … nicht aus dem Weg gegangen. Aber ich musste es auch nicht haben, dass die Diskussionen ausarten. Manche schütteln sich ab und dann geht es wieder. Ich habe die ganze Nacht daran zu knabbern und ärgere mich hinterher drüber, dass ich überhaupt soweit gegangen bin. Jeden Tag brauche ich das nicht, dass ich Konflikte habe und wütend werde und mich hinterher nicht wieder einkriege. Macht ja auch am Ende krank. Wenn du alles in dich reinfrisst, wirste wahrscheinlich noch kranker, als wenn du gelegentlich drüber nachdenkst. Ja. So ist es halt.


Stefan: Die Wut kann man nicht kanalisieren?

Dietrich: Schlecht. Man kann das wegtrinken mit einem Alkohol, aber das löst es ja nichts. Man kann Sport machen, man kann schreiben, man kann sich ablenken, den Film gucken. Das kann man ja machen. So, das ist meine Wut. Alles geklärt.


Yvonne: Welchen Kanal haben Sie, um mit Wut umzugehen?

A1: Man spricht es ja an, aber du wirst nicht gehört. Wenn du mit den Freunden unterwegs bist, wollen viele es gar nicht mehr hören. Das ist ja das Schlimme. Jetzt kommt wieder die Europameisterschaft, wo im Prinzip viele Sachen vertuscht werden. Das ist so. Da wird abgelenkt von den Hauptthemen. … Einen Kanal … so richtig nicht. …

Yvonne: Es bringt auch nichts, wenn wir uns die Köpfe einschlagen.

A2: Das ist richtig. Man muss schon irgendwie drüber reden. Und das ist eigentlich auch das, was verloren gegangen ist: dass man darüber spricht, dass man Meinungen zulässt. Ja, das meine ich: dass man Meinungen einfach nicht zulässt. Da gehört eben auch dazu, dass man sich auch mal mit Leuten unterhält, die nicht in die Richtung gehen, die…

A1: Selbst, wenn das nicht rechts wäre, bist du automatisch …

A2: Gerade in so Gebieten hier wie Eisenberg, wo viel rechts unterwegs ist, denke ich, muss eine Kommunikation her und einfach Cut »Die wollen wir nicht, zack.« Das provoziert.


Janek: Es ist ja, würde ich sagen, ein seelisch sehr belastender Zustand, wütend zu sein. Und wenn sich diese Wut nicht erfüllt, dann verdunkelt sie sich immer mehr und immer weiter. Die braucht ja ein Ventil. Ich habe wirklich nichts dagegen, dass Leute – auch nicht die – demonstrieren. Nur, es gibt ja kein Ventil. Das ist ja nur Selbstvergewisserung.


Lissy: Ich mach’s bis jetzt mit mir selber aus. (lacht) Ich geh ja mit den Hunden viel in Wald. Da schrei ich eben manchmal. (lacht)



Peter: Da geh ich noch mit. Ich denke mal, es hat ja immer alles irgendwo seinen Grund. Wenn man wütend ist, ist man vielleicht ein bisschen zu vorschnell in seinem Empfinden. Ich denke immer, die andere Person, die jetzt vielleicht irgendwas verkehrt gemacht hat, die macht das ja aus irgendeinem Grund. Das ist nicht mal so bewusst, manchmal auch. Ganz oft sogar. Also, es ist auch immer vom Umfeld abhängig, wie die Person sich entwickelt hat, wie sie sich entwickeln konnte. Und die hatte gar keine andere Chance, so zu agieren. Deshalb kann ich auf diese Person dann auch nicht wütend sein.


Friederike: Ich würde Schule ganz anders machen, wenn es nach mir ginge.

Yvonne: Meinst du, dann gäbe es weniger Wut?

Friederike: Ja. Die Wut hat dann einen Ort. Dann gibt es einen Wutraum. Da können die mal hin, wenn die so richtig… Ist ja erstmal nur eine Emotion. Dann sollen sie diese Emotionen nicht gegen sich oder gegen andere Menschen richten, sondern gehen in den Raum und agieren die aus. Ist doch total cool. Und dann: »Huh, phh, jetzt geht es mir wieder besser.« Dann kommen sie, sind beruhigt. Dann kriegen sie Schüssler-Salze. Dann beruhigen sie sich wieder, keine Ahnung, das wäre cool.


Dörte: Wenn konkrete Anlässe mich dazu bringen, dann werde ich richtig wütend. Als ich jünger war, war da viel mehr. Ich habe ein bisschen Gelassenheit entwickelt, aber ich stelle immer noch fest, dass ich wütend werden kann. Dann bin ich eigentlich auch sehr unkontrolliert. Wenn ich dann Konsequenzen aus diesem Ereignis ziehe, die nicht angebracht sind. Zum Beispiel: Ich verkrach mich mit meinem Freund. Ja, dann habe ich sofort das Bedürfnis: »Jetzt hau ich ab, jetzt will ich das alles nicht mehr.« Und so weiter. Anstatt mich nach einiger Zeit diesem Problem zu stellen, was ich irgendwann auch tue. Ja, also Wut hat für mich persönlich viel auch erst einmal mit unkontrollierter Reaktion zu tun.


E.: Es gibt solche Radfahrmomente, in denen ich für etwas gehalten werde, was ich gar nicht bin. Oder Momente, wenn ich gar nicht eine Möglichkeit habe, mich zu äußern und man mir vorgibt, was ich jetzt gerade gedacht, gesagt, gemeint habe. Dann denke ich: »Nee stopp, gib mir doch mal eine Möglichkeit zu sagen, was ich eigentlich gemeint habe« oder »Ja, gib mir eine Möglichkeit gehört zu werden«. Dann kommt dieses ganz Kindische. Ich beobachte mich von außen und denke, »Boah, nee, wie wenig erwachsen«. Dann bin ich wütend über diese Reaktion, die diese Wut in mir auslöst. An dieser Stelle würde ich gerne mal weiterkommen.


Kathrin: Es gibt für Kinder und auch für Erwachsene therapeutische Tipps, wie man mit Wut umgehen kann. Ich nehme mal jetzt ein Blatt und male einen Wutsack. Und da schreibe ich alles rein, was mich wütend macht. Nur allein der Prozess, dass ich es aufschreibe, vielleicht noch, wenn ich dir das vorlese und erzähle … weil du, der du nicht wütend, aber an meiner Seite bist, mein Sozius sozusagen, du guckst dir das an und redest mit mir darüber. Du nimmst meine Wut wahr. Das würde, glaube ich, meine Wut, meinen Wutsack, der da ist, das würde den schon ein bisschen leeren. Also nur das Reflektieren, nur das Visualisieren, das Aufschreiben, das Benennen, das würde mir schon helfen. So, dann geht es mir schon besser. … Es braucht Wutmanagement oder Angstbewältigung, also den Umgang mit Emotionen lernen. Dann merke ich: »Oh, ich bin schon ein bisschen entspannter, weil du hast mir ja zugehört und du verstehst jetzt, warum ich wütend bin und woher die Wut kommt.« Und dann kannst du mich mit dieser Energie mitnehmen und an den Arm nehmen und mit mir in eine andere Richtung gehen. Weil das Bedürfnis, was ich gerade habe, die Wut, da willst du ja irgendwas wegwerfen. Jetzt mal mit dem Blumenstraß: Du willst was wegwerfen. Oder du willst was zerschlagen, auf was draufhauen. Und manche Menschen wollen ja dann andere Menschen auch noch boxen.


Anne: Meistens ist es dermaßen global, dass du irgendwie nichts machen kannst, weil das so festgesetzt ist, auch in Köpfen und in der ganzen Gesellschaft. Alleine, wenn wir uns die Wirtschaftsform angucken, mit dem Kapitalismus: Das zerstört einfach mal so viel. Da kann ich sagen: »Find ich scheiße.« Ich kann sagen, ich find das und das gut. Meistens versuche ich positiv ranzugehen und die Sachen zu unterstützen, die ich gut finde. Und gar nicht so gegen irgendwas zu sein. Das ist ein bisschen schwierig, wenn du immer gegen was ankämpfst. Sowas macht du dich nur kaputt. Und ja, dann nochmal was spenden, hier Greenpeace oder SeaWatch. Ich unterstütze schon ganz gerne. Ansonsten ist einfach mal das Problem, dass es zu viel Ungerechtigkeit auf der Welt gibt. Und es erschlägt einen auch so ein bisschen.

Yvonne: Ist dann vielleicht die Flucht ins Private nicht die beste Möglichkeit? Ansonsten empfindest du diese Ungerechtigkeit, die Hilflosigkeit ja immer bei den großen Problemen, die man alleine nicht lösen kann.

Anne: Ja. Aber man muss eben tatsächlich versuchen, sich davon auch abzugrenzen. Sonst machst du dich kaputt.


Bernhard: Im Freundeskreis, das haben wir immer als sehr angenehm empfunden, dass es nicht die ständige Nölerei über irgendwelche Unzulänglichkeiten gibt. Sondern dass man doch eine positive Sicht hat ganz allgemein. Und man sich nicht das Klima vergiftet durch ständige Nörgeleien zu Dingen, die einem nicht passen.

Yvonne: Vielleicht liegt es auch daran, dass Ihr natürlich vom Schicksal irgendwie auch gut behandelt wurdet.

Karin: Ja, das spielt mit Sicherheit auch noch mit.

Bernhard: Es ist aber nicht nur das Schicksal, sondern auch das, was man selber tut.


Markus: Ich bin ja auch großer Fußballfan und früher ins Stadion gegangen. Inzwischen nicht mehr. Inzwischen macht mir das eher Angst. Aber man sieht selten so viele Männer, die sich umarmen und herzen wie beim Fußball. Im Stadion geht das sogar ohne Alkohol, weil das Spiel selbst ist ein Aphrodisiakum. Ich glaube, wenn Männer zu Hause Fußball gucken, dann helfen ein paar Bier, um durch die Wohnung tanzen zu können. Aber das ist für mich so das Offensichtlichste, jetzt, wo gerade die EM war. Wo man dann sieht: »Da darf man. Da dürfen die auch weinen.« Fußballer, die weinen, sind dann auch Helden, die werden sogar in der BILD-Zeitung gelobt. Es gibt ja tausend Theorien, ob mit dem Ballerspielen Aggression abgebaut oder aufgebaut oder umgeleitet werden. Ich neige dazu zu sagen: Jemand, der seine Gefühle auf dem Fußballplatz rauslässt, schlägt seine Frau vielleicht ein bisschen weniger. Wenn sie ihm das erlaubt. Wenn sie es ihm nicht erlaubt, lebt sie gefährlich.


Lis: Ich bin gerade in dem Prozess zu lernen, Wut auch rauszulassen. Mir wurde vorgelebt, dann schweigsam oder ohnmächtig zu werden. Weil man gar nicht weiß: »Was ist jetzt für ein Gefühl?« Wie kann ich damit so umgehen, dass ich das nicht nur mit mir alleine ausmachen muss? Im ersten Schritt bin ich wütend auf die Situation oder eine Person, die mir ungerecht gegenübergetreten ist. Oder ich bin wütend auf so strukturelle Sachen. Einfach ein bisschen plump gesagt, das System, in dem ich eine bestimmte Rolle einnehme oder in bestimmte Rolle gedrängt werde, die ich halt blöd finde oder in der ich benachteiligt bin. Im zweiten Schritt bin ich wütend, dass ich die Wut in dem Moment nicht rauslassen konnte und mir dadurch keine eigene erkämpfen konnte. Wütend darüber, dass ich so stimmlos geblieben bin. Ich glaube, das ist wieder auf die Geschlechterfrage zurückzuführen. Das ist gerade ein Thema, mit dem ich mich beschäftige: Inwiefern Schweigenbrechen eine Selbstermächtigung sein kann, eine Selbstannäherung, dass man so auch ein Gefühl dafür bekommt, wer man eigentlich ist mit all den Identitäten, die man in sich vereint und was das bedeutet.


N.: Ich denke, dass ich mit der Wut ganz gut umgehen kann. Ich ärgere mich, aber dann ist es auch wieder gut.


Anonym: Ja, also, ich zittere, wenn ich Wut habe.

Yvonne: Wie gehst du dann damit um? Lässt du die Wut raus oder frisst du die in dich rein?

Anonym: Meistens fresse ich sie in mich rein. Das hat natürlich auch eine Wirkung. Dann ist man ein paar Stunden nicht aufnahmefähig, auch nicht arbeitsfähig. Aber rauslassen bringt sowieso nichts, nur das Gegenteil. In unserem Fall.

Yvonne: Und in unserem Fall heißt, du sprichst jetzt in deinem Fall als Mitglied des Ausländerbeirates oder als Palästinenser?

Anonym: Beides. Ich meine, im Ausländerbeirat wissen wir schon, wo die Ungerechtigkeit ist. Aber trotzdem wird wenig gemacht. Und deswegen, wenn man wütend ist und gibt das raus, also dann wir das nur negativ wahrgenommen. Deswegen ist es für mich lieber: reinfressen als zum Ausdruck zu bringen.

Yvonne: Und glaubst du, dass dir das guttut, wenn du das nur in dich reinfrisst?

Anonym: Nein, das tut nicht gut. Aber wenn man seine Wut äußert, hat das mehr negative Folgen für sich selber. Wenn ich meine Wut äußere, dann hat das Folgen auch für andere Menschen. Deswegen opfere ich meine Seele, meine Psyche für andere Menschen, damit die anderen Menschen keine negativen Folgen haben.


Karin: Es ist ein destruktives Gefühl, was ja auch zu aggressivem Verhalten führen kann. Und es gibt ja auch verschiedene Methoden, mit denen man seinen eigenen Teil Ärger, seinen Mut, seine Wut ganz gut kontrollieren kann. Also zum Beispiel nicht so spontan sofort los zu palavern, jemanden anzuschreien, sich auf was Schönes konzentrieren, einen kleinen Spaziergang machen, sich Zeit nehmen. Ist das morgen noch genauso? Man kann ja damit auch lernen, umzugehen.


Julia: Wenn man an Wutausleben denkt, dann denkt man erstmal an irgendeine Form von Aggression oder Gewalt. Das ist manchmal vielleicht sogar auch notwendig. Also in schlimmen Situationen, wo man sich körperlich selbstverteidigen muss. In so einer Situation war ich noch nicht. Ja, was könnte man mit ausleben meinen? Also, aussprechen ist auf jeden Fall erstmal gut. Wenn ich mit mir selber darüber ins Gespräch gehe: »Was ist jetzt ja eigentlich los? Wo kommt diese Wut her? Wofür ist die vielleicht gut?« Und dann vielleicht auch mit anderen. Oft hilft es ja schon, wenn mir jemand was sagt oder antut, das mich wütend macht, zu sagen: »Das macht mich jetzt wütend.« Darüber kann man in konstruktive Gespräche kommen. Als Erstes kommt das Spüren. Manchmal weiß man noch gar nicht, was das überhaupt für ein Gefühl ist. Man ist irgendwie anders drauf, irgendwie höherer Puls oder höherer Herzschlag. Also, das kommt als Erstes, das Wahrnehmen. Wenn man das macht, dann hat man ja schon mal was zu tun. Wenn ich doch jemanden anschreie oder so, dann sollte ich mich nicht gleich zutiefst dafür schäme, sondern das auch als Strategie sehen. Man kann ja trotzdem hinterher auf den Menschen zugehen und sagen: »Ey, komm, lass uns mal darüber reden, was war denn jetzt hier eigentlich los? Ich will dich ja nicht verletzen.« Aber nicht um jeden Preis niemals ausrasten.


Yvonne: Gibt es irgendeine Möglichkeit, mit der Wut produktiv umzugehen?

Ulf: Ja, man kann richtig wählen.

F: Da sollte man richtig wählen.

Ulf: Damit meine ich nicht die AfD, ausdrücklich nicht.

Yvonne: Das heißt, es gibt noch das BSW.

Ulf: Ganz genau. Ich war schon immer Sarah Wagenknecht Fan.

Yvonne: Aber zumindest haben Sie ja ein demokratisches Mittel. Sie haben keine Umsturzfantasien und »Jetzt wird die Regierung erschossen« oder so.

F: Nein, um Gottes willen.

Ulf: Das machen wir erst nächste Woche. (alle lachen) So weit, so wütend sind wir noch nicht.


Anne: Wenn du emotional reagierst, also richtig auf dem Tisch haust oder mal richtig wütend bist, wirkt das nur bei ganz bestimmten Leuten. Die meisten Leute sind viel zugänglicher, wenn man ganz normal mit denen redet. Aber bei manchen wirkt es tatsächlich, habe ich auch schon festgestellt, wenn man so richtig nachdrücklich und laut wird.


Yvonne: Geht das schnell bei dir, dass du wütend bist?

L.: Ich bin impulsiv. Also werd ich auch schnell wütend, ja.

Yvonne: Hat Wut eine gute Funktion?

L.: Äh, ja. Warum nicht? Da kann ich rauslassen, was ich denke. Und dann ist man wieder entspannter.

Yvonne: Aber vielleicht ist der andere nicht entspannt, wenn er/sie Wut abbekommt.

L.: Ja, der ist ja dann auch meistens wütend. Der schreit dann einfach zurück.


Anne: Ich versuche in meinem Umfeld das zu tun, was ich tun kann. Kleinigkeiten, die anderen Leuten das Leben leichter machen. Es fängt an, wenn du sagst, ich stelle die Mülltonnen vorne an die Straße, damit die Leute, die den abtransportieren, es nicht so weit haben. Bei solchen Sachen fängt es an. Oder: Ich warte halt mal länger, wenn jemand ein bisschen vor mir in der Schlange braucht. Ich mecker da nicht gleich rum. Also, ich versuche so viel wie möglich positiv zu sein. Ich grüße die Frau an der Kasse zum Beispiel. Einfach so dieses Menschliche halt, das ich versuche mir zu bewahren. Und wenn ich das in meinem Umkreis mache, dann hoffe ich, dass ein bisschen strahlt. Dass ich so ein bisschen was erreichen kann.


Thomas: Ich glaube, das ist ja auch ein Symbol, um mit dieser sehr starken Emotion umzugehen. Wir sind alle emotionale Menschen, hoffentlich jedenfalls. Und deshalb braucht es ein Ventil, wo das richtig verdampfen kann im wahrsten Sinne des Wortes. Jeder muss da ne Methode finden, sich dem genau nicht hinzugeben oder erst recht nicht Wut an Anderen auszulassen. Oder aus einer Wut heraus Entscheidungen zu treffen.


Wolfgang: Ich weiß nicht, ob Wut ein Antriebsmotor dafür ist, irgendwas zu tun. Oder ob Wut als ein emotionales Gefühl entsteht, das furchtbar für einen ist, denn man empfindet das und das muss raus. Wie die Frau Hennig-Wellsow, die in dem Moment so wütend ist und wahrscheinlich überhaupt nicht weiß, was sie macht. Dann wirft sie diesen Blumenstrauß, als Aktion, um diese Wut rauszulassen, die in ihr entstanden ist, aus Verzweiflung.


Udo: Ja, kommt darauf an, wie groß die Wut ist. Wenn die Wut eskaliert, dann wird es natürlich problematisch. Wenn man aber sagt: »Ich bin zwar wütend« und ich bin nicht aggressiv, sondern ich überlege, warum ich wütend bin, dann kann auch was Gutes draus entstehen. Dass ich dann sage: »Ok, wenn ich damit nicht einverstanden bin, dann muss ich halt versuchen, da was zu ändern, wenn ich ändern kann.« Aber wenn die Wut in Aggressivität übergeht, dann wird es ganz schwierig. Das ist auch so ein Fanatismus, was ganz gefährlich ist. Und wenn dann so eine breite Masse entsteht, dann hast du das, was wir von der Geschichte schon mal gesehen haben, wo sie alle »Hurra!« rufen. Ich denke mal, dass liegt an den Leuten, an den Charakteren oder auch an dem Umfeld, in dem sie sich bewegen, dass die sagen: »Komm her, wir sind damit nicht einverstanden, wir sind jetzt wütend.« Aber was machen wir jetzt draus? Wollen wir versuchen, was zu ändern? Oder wollen wir komplett in das Horn reinblasen und alles kaputtschlagen und Leute attackieren?


Peter: Jetzt gibt’s ja gerade Fußball. Hier sind ja viele Fans. Und die lasst da vielleicht ihre Wut auch ein bisschen raus. Das geht aber in eine andere Richtung so ein bisschen. Gut, da gibt’s hier die Hooligans, die wollen’s richtig wissen. Aber… da haben sie mal die Möglichkeit, ein bisschen Dampf abzulassen.


Anonym: Was ich gerade aktuell mit meiner Freundin mache, habe ich vorher mit einer Therapeutin gemacht. M und ich schreiben uns halt gegenseitig, was gerade so los ist. Wir denken schon sehr ähnlich. Und wenn sie irgendwas hat, dann versuche ich, das zu verstehen und ein Beispiel zu bringen, als es mir auch so ging. … Ich glaub, wenn man dann hört: »Ja, finde ich ja jetzt richtig dumm, was du da sagst«, dann würde man sich keine Nachrichten mehr schreiben. Es gibt noch eine andere Person, mit der ich manchmal auch rede. Da habe ich immer das Gefühl, die sagt: »Ja, finde ich richtig dumm, was du jetzt sagst.« Dann fühle ich mich eher so:  »Hm, ja, okay. Vielleicht schreibe ich doch lieber mit M.«


Caro: Also ich würde schon sagen, dass sich das bei mir über die Jahre stark verändert hat. Früher war ich viel wütender und habe das auch mehr gezeigt habe als jetzt. Auch durch die Reaktionen, die man zurückbekommt. Ich habe mir das einfach so angewöhnt, dass so Leute überrascht reagieren, wenn ich jetzt mal wütend bin. Das finde ich auch schwierig, weil ich dann das Gefühl habe, mich rechtfertigen zu müssen oder klären zu müssen.


Kathrin: Warum soll ich mich weigern, irgendwas zu akzeptieren, was ich nicht beeinflussen kann? Warum soll ich mich weigern dagegen? […] . Ich kann mich nur gegenüber dem verweigern, was Menschen von mir erwarten, was ich tun soll. Dagegen kann ich mich verweigern. Ich kann sagen: »Nein, Widerstand, das mache ich nicht.« Aber das ist etwas außerhalb von mir, was ich nicht beeinflussen kann, was außerhalb meines Einflussgebietes steht. Da kann ich ja nur akzeptieren. Weil ich sonst permanent Energien verschwende in der Auseinandersetzung mit dem, was da ist.


Lis: Ich fand das schon cool, Wut nicht die ganze Zeit mit mir rumzutragen oder schweigsam mit mir selbst auszumachen oder gar erst nicht so wissen, was das für ein Gefühl ist. Dann aber zu checken: »Boah, das war gerade Wut«, das sehr bewusst und gebündelt rauszulassen und der Person zu zeigen: »Hey, das war jetzt blöd« oder »Das hat mich gerade wütend gemacht«, das ist voll empowernd. Dass die Wut dann nicht mehr nur in mir drin ist, sondern auch ins Außen geht und dass ich sie nicht so runterschlucke und sich so ein Kloß im Hals bildet.


E.: Manchmal glaube ich, dass es fast einfacher ist, Wildfremden so etwas zu erzählen. Manchmal im Zug nach einem Gespräch denke ich; »Waren wir jetzt so gut befreundet, okay, hab ich gar nicht mitbekommen.« Ja, das ist dann fast einfacher. Aber das wäre umso mehr die Aufgabe, dass man auch Wege findet, um so etwas seinen Nächsten zu artikulieren.


Paul: Das ist ja immer ganz situativ, das kommt doch immer ganz drauf an, wie ist der Hintergrund? Wie ist es in der Familie? Das weiß man ja immer nicht, direkt am Anfang. Das ist aber bei uns in der Villa gewesen, mit dem offenen Konzept. Die Kinder können kommen und gehen, wie sie wollen. Und dann hat man mal eine Runde Billard gespielt, eine Runde Tischtennis. In der Zeit lernt man an die Leute kennen, dann fangen sie irgendwann an, mit dir zu sprechen. Dann kommen sie von alleine auf die Themen zu sprechen, die sie beschäftigen. Das ist aber immer ganz situativ, da kann man ja jetzt nicht pauschal sagen: »Ich würde jetzt das und das machen.« Empfehlen kannst du ja sowieso nichts. Du kannst immer nur sagen.


Anonym: In der Therapie erkennt man, wann man nicht traurig ist, sondern auch mal wütend ist und das versucht zu verstecken hinter einer anderen Emotion, die vielleicht für einen selber besser zu handhaben ist. … Aber wenn man sich damit selbst beschäftigt, ist es noch mal was anderes. Ja, ich würde schon sagen, dass man auch sehr viel aufarbeiten muss und dafür einfach die Kraft aufbringen muss. Und das kann schon sehr anstrengend sein, ja. Aber es ist auch interessant, weil man sehr viel über sich selber lernt. Und man hat ja auch was davon. Man lernt, damit weiter um zu gehen.


Sarah: Worauf ich wütend bin? Ich glaube, vermehrt auf äußere gesellschaftliche Umstände. Das fällt mir auch leichter, anstatt auf eine einzelne Person wütend zu sein, aber auch ganz gerne auf mich selbst. Ich glaube, das ist auch die Ursache von viel Selbstkritik, dass ich auch mal sauer auf mich bin, wenn ich irgendwas nicht so hinkriege, wie ich wollte. Auch wenn ich weiß, dass es nicht so, nicht so zielführend ist.


Olaf: Wenn eine Wut gezeigt wird, dann muss das in einem bestimmten Rahmen passieren. Es darf nichts verrohen. Wenn das verroht, finde ich das ganz problematisch. Auch Gewalt lehne ich ab. Wenn Menschen denken, dass sie mit körperlicher Gewalt etwas erreichen können, dann ist das etwas, das mich wütend macht. Das schreckt ab; etwas mit körperlicher Gewalt zu tun oder Schaden anzurichten. Das lehne ich ab. Wenn man sagt: »Ich möchte damit etwas zum Ausdruck bringen«, verrät man die eigenen Werte. Was sind denn das für Werte, wenn es um Gewalt gegen Menschen geht? Gewalt gegen Personen lehne ich strikt ab. Und ich lehne das auch ab, wenn man sagt, man tut das um der Sache willen. Der Zweck heiligt nicht die Mittel.


E.: Was ich bei mir beobachte, dass ich manchmal an Stellen wirklich wütend werde, an denen es eigentlich keinen Anlass gibt. Also, wo jetzt ganz objektiv der Grund nicht vorhanden ist. Dass man da, und das würde wieder dafürsprechen, dass man das irgendwie übt zu formulieren, was einen ärgert. Bleiben wir mal bei Ärger. Und bevor es so einem Unwohlsein und nochmal einem Unwohlsein, so eine Wut wird, die dann auch so, die einen dann so ohnmächtig macht und die dann auch so groß ist, wo man dann irgendwie auch gar nicht mehr rankommt an diese, also das zu bewältigen so. Dass man da versucht, ja, einen Zugang zu finden, schon zu seiner Wut und dann ist vielleicht auch, das meine ich mit dem, dass man das, dass die anderen die Möglichkeit haben müssen, zu wissen, dass einen das gerade geärgert hat.

Weil häufig stelle ich fest, dass mich was total wütend macht und der andere hat es noch nicht mal mitbekommen. Oder das war aus Unachtsamkeit oder so was, das war gar nicht so gemeint oder so. Und dann wird so ein Riesenwutballen, der eigentlich ganz klein ist, beziehungsweise den man ganz schnell wieder wegkriegen kann, bevor er noch so ganz viel Raum einnimmt. Und das ist, glaube ich, auch eine Sache von Zuhören oder von Wahrnehmen. Und das werfe ich dem anderen noch nicht mal vor. Das kann auch Unachtsamkeit sein, dass man, ja, oder man ist selber mit einem falschen Bein aufgewacht. Da gibt es ja auch Möglichkeiten, dass man da verschiedentlich reagiert an verschiedenen Tagen. Ein Tag ist es okay. Und beim nächsten Mal denkt man, »Ah, nee, so will ich das jetzt gerade nicht«° Aber dass man dann, ja, ohne das jetzt vielleicht auch zu dramatisieren. Also, und jetzt nicht, da ich, »Ach, du hast mich verletzt.« Und das meine ich gar nicht. Aber dass man sich selber so eine Kultur, des Ärgerzulassens schafft.


Thomas Kemmerich: Ein dickes Fell anlegen musst du auf jeden Fall. Konfrontation bringt nichts. Ich widerspreche ruhig und sachlich. Ich suche das Argument, aber ich kann mehr als gut damit leben, dass der Andere auch anderer Auffassung bleibt. Und man merkt ja in einem sehr kurzen Worttausch, ob der Andere wirklich in der Sache diskutieren will oder einfach nur seinen Frust äußert. Wenn ich merke, das hat keinen tieferen Sinn, dann spare ich mir meine Körner. Wenn man so will, die Faust in der Tasche ballen, bis zehn zählen und dann weitermachen.


Yvonne: Also ganz ehrlich, ich hätte dieses dicke Fell nicht.

Christian Herrgott: Man braucht wirklich ein dickes Fell. Aber wenn das in den persönlichen Bereich geht, also Morddrohungen oder auch in Richtung eigener Familie oder sonstige Sachen, da hört dann der Spaß wirklich auf. Und da ist auch dann geboten, dass man das Ganze natürlich auch mit allen strafrechtlichen Möglichkeiten verfolgt.

Yvonne: Das zeigen Sie dann auch an?

Christian Herrgott: Natürlich. Also ich hatte während Corona zwei solche Dinge. Und am Ende sind dann auch die Sachen vor Gericht gelandet. Und das ist dann eben so. Aber derjenige hat sich dann entschuldigt und hat das auf Frust und Alkoholkonsum und was auch immer geschoben. Er hat seine Strafe dafür bezahlt. Ich habe seine Entschuldigung akzeptiert. Ich weiß nicht, ob es ehrlich gemeint war oder ob es nur vom Anwalt diktiert wurde. Aber es gibt eine gewisse Grenze. Und das gehört auch zum normalen Umgang dazu, dass man diese Grenze nicht überschreitet. Wie gesagt, das normale Gepöbele, okay, das muss man aushalten. Ich sag mal, ich beschäftige mich nicht mit jedem russischen Bot, der irgendwo bei Facebook oder Instagram seinen Müll ablässt. Aber jenseits von dem Gepöbele ist dann irgendwo eine Grenze überschritten. Und es wird dann auch zur Anzeige gebracht.


Lucie: Aber ich finde die Blumen an sich, also Blumen haben sowas Schönes. Und sowas… Vielleicht ist es eigentlich auch etwas Fröhliches. … Aber schmeißen ist schon mal gut, glaube ich.

Yvonne: Was würdest du werfen wollen, wenn das der Kanal der Wutentäußerung wäre?

Lucie: Vielleicht so Glas oder… Ich habe jetzt sofort an eine Bierflasche gedacht. Also es muss ja keine Bierflasche sein, aber wie… Was auch auseinander springt und so explodiert und so… Derbes Geräusch auch macht. Vielleicht sowas eher. Kann man wütend sein auf die schlechte Laune im Land? Ja. Aber muss ja eigentlich nicht sein, oder? … Ich nehme die Kunstblumen.